Wenn es viermal an die Pforte klopft, verspricht dies nicht unbedingt immer Gutes. Für ihre neue Konzert-Produktion u.a. mit HK Grubers „Frankenstein!!“ frei nach Mary Shelley hat das britische Aurora Orchestra ein Video ins Netz gestellt, das mit flüchtenden Spinnen und milchigem Kerzenlicht Grusel-Atmosphäre inszeniert. Das panische Frauenauge mustert in der Schlusssequenz die grobe Holztür, an die vier harte Schläge dröhnen – wie am Beginn von Beethovens Fünfter, dem zweiten Konzertteil des Kölner Konzerts.
Nicolas Collon, der erste Gastdirigent des Gürzenich-Orchesters, hat sich mit seinem eigenen Ensemble aus London auch am Rhein bereits wärmstens empfohlen. Seine „Pastorale“ mit choreografierten Orchestergruppen und illuminiertem Bühnendekor intensivierte das Musik-Erleben nachhaltig. Collons Musizierstil „by heart“, das Spiel aller Akteure ohne Ablenkung durch Noten und Platzbindung durch Pulte oder Stühle, befreit auch den Hörer von der starren Blickbindung auf die Formation – der Klangkörper bewegt sich, pulsiert, wechselt die Ausrichtung, kann sich konzentrieren und in die Breite schweifen. Das bietet eine neue und bereichernde Konzerterfahrung – für Spieler und Hörer.
Jetzt trifft dieser sprühende Musiziergeist dieses „Beethoven-Monsters“, mit dem der Bonner Meister Angst und Schrecken bei seinen sinfonischen Nachfolgern geschaffen hat – Brahms hörte z.B. „einen Riesen“ hinter sich trapsen, was eine sinfonische Schreiblähmung nach sich zog –, auf die englische Version des Gruberschen „Frankenstein!!“ , ein „Pandämonium für Chansonnier“ nach Texten von Hans Carl Artmann. Dieses originelle wie unkonventionelle Werk findet im britischen Humor einen Anker und in dem Bariton Marcus Farnsworth einen meisterlichen Lied-erprobten Interpreten. Als Ouvertüre musizieren die Engländer Ballettmusiken aus Mozarts „Idomeneo“, das sind selten zu hörende Pretiosen.
Neuland betritt auch der WDR mit seinem Sinfonieorchester im neuen Format „Klassik im Dialog“, zum Beginn mit der in diesem Monat häufiger bemühten „Schicksals-Sinfonie“ Ludwig van Beethovens und einem ungewöhnlichen Festredner: Dr. Wolfgang Schäuble, aktueller Bundestagspräsident, wird über das Thema „Schicksal“ aus ganz persönlicher Sicht referieren und dabei seine staatsmännisch geschulten Erfahrungen einbringen. Das Hören der Sinfonie Nr. 5 als Alternative zur britischen Version „by heard“ könnte dabei reizvoll ausfallen: Jukka-Pekka Saraste hat mit dem Sender-Orchester in den letzten Jahren „ihren“ Beethoven und dessen Erben Brahms im Klang entwickelt. Jetzt fügt Altmeister Marek Janowski mit dem Orchester einen gemeinsamen Beethovenzyklus im Ruhrgebiet hinzu, der in Köln startet. Damit ehren die Kölner Musiker den stets der Region verbundenen Dirigenten kurz vor seinem Achtzigsten als einen puristisch werkbezogenen Kapellmeister des „Alten Schlags“ – besonders ergiebig wirkt der Kontrast zum Heißsporn Collon: zwei verschiedene Welten mit unleugbar existierenden eigenen Reizen.
Konzerte in der Kölner Philharmonie:
So 9.9. 16 Uhr: Aurora, Collon, Farnsworth | Sa 29.9. 20 Uhr: WDR SO, Janowski, Schäuble | www.koelner-philharmonie.de | 0221 280 280
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24
„Einladung zum Staunen“
Tabea Zimmermann über die Beethovenwoche – Interview 01/20
Gaudi mit Geist
Igudesman und Joo lehren Kreativität in Köln – Klassik am Rhein 12/19
Buchbinder play & conduct
Beethovens Klavierkonzerte treffen auf Wagners Wunderharfe – Klassik am Rhein 11/19
Dialog ohne Grenzen
20 Jahre West-Eastern Divan Orchestra – Klassik am Rhein 10/19
Himmliche Töne
Zum zehnten Mal feiert Köln ein Kirchenmusikfestival – Klassik am Rhein 09/19
Neue Fragen zur Alten Musik
Das Musikfestival „Felix!“ feiert Premiere – Klassik am Rhein 08/19
Die Uhr zurückgedreht
Das Forum Alte Musik Köln feiert Geburtstag – Klassik am Rhein 03/19
Blume aller Blumen
Ein Liederabend in Köln lässt Rosen erblühen – Klassik am Rhein 02/19
Riesige Hände
200. Geburtstag von Clara Schumann – Klassik am Rhein 01/19
Köln in Champagner-Laune
2019 wird ein knallbuntes Offenbach-Jahr – Klassik am Rhein 12/18
Aufatmen in Köln
Der Kölner GMD bleibt länger im Dienst – Klassik am Rhein 11/18
Friedenslieder zum Jahresende
„Silvesterkonzert – Bernstein & Gershwin“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/24
Originelle Qualität
„Weihnachten mit Daniel Hope“ in der Philharmonie Essen – Klassik an der Ruhr 12/24
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24