Die Maschinen von Jean Tinguely halten Hof. Kaum hat der Besucher die Ausstellung im Museum Kunstpalast betreten, so wird er von ihnen umfangen. An der Wand im Rücken befindet sich eine Reihe mit den frühen „meta-mechanischen“ Reliefs der 1950er Jahre: Per Knopfdruck bewegen sich Scheiben und Zeiger. Bereits in ihnen „stecken“ wesentliche Prinzipien und konstruktive Verweise zu Tinguelys Kunst. Ein weiterer Bezug liegt zu Marcel Duchamp vor, dem „Erfinder“ des Readymades. In den Ausstellungsräumen rattern die Apparaturen mit ihren ausrangierten Metallteilen. Die Masken und Kleidungsstücke, die an ihnen hängen, wippen auf und ab, schütteln sich. Plötzlich Stille, an Stelle von Chaos und Lärm treten Ordnung und Poesie: Zu sehen und zu hören ist hier ein phänomenaler Überblick über das Gesamtwerk von Tinguely. Jean Tinguely (1925-1991) war ein Tausendsassa der Avantgarde seiner Zeit, der anarchischen Geist mit kindlicher Verspieltheit verband. Er gehörte 1960 zur Gruppe der Nouveaux Réalistes in Paris, die alltägliche, verbrauchte Gegenstände in Kunst transformiert hat. Selbst verband er dies mit der elektronisch betriebenen Bewegung – ganz im Geist von Dada – als berauschend bröselige, hinkende Gegenwart. „Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht“, hat Tinguely schon 1959 in seinem Manifest „Für Statik“ geschrieben. Er liebte die Geschwindigkeit – und war Fan von Autorennen – und beschäftigte sich intensiv mit dem Tod. Aber seine Skulpturen besitzen einen schöpferischen Humor. Zugleich demonstrieren sie die Absurdität von Handlungen, die bis zur Unendlichkeit wiederholt werden, und hinterfragen die Perfektion der Technik in dieser Zeit. Das alles geschieht heiter.
Ausgestellt sind in Düsseldorf auch die berühmten „Méta-Matics“, die Mal- und Zeichnungsmaschinen, die Tinguely in öffentlichen Aktionen vorführte. Sie malen anhand von Stiften an ihren Gliedern Bilder. In der damaligen Zeit waren diese Skulpturen noch als Seitenhiebe auf die frei gestische Malerei in Paris zu verstehen. Zugleich war Tinguely selbstironisch genug und hat liebevoll Maschinen gebaut, um sie dann zu sprengen: Dazu gibt es dokumentarische Filme zu sehen, die nebenbei unterstreichen, wie sehr ihm bei seinen großen Projekten an der Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen gelegen war, etwa mit seiner Frau Niki de Saint Phalle und Bernhard Luginbühl. Mit ihnen realisierte er monumentale Werke wie den „Kopf“ im Wald bei Milly-la-Fôret. Eine riesige Maschine ist nun auch im Museum Kunstpalast zu sehen und zu betreten: die flirrend vitale „Grosse Méta-Maxi-Maxi-Utopia“. Und einen Raum weiter, etwas versteckt, ist wieder alles anders. Aus vielen symbolisch verstandenen Maschinen entwickelt sich ein lautloses Schattentheater. Chapeau zu dieser vorzüglich inszenierten Ausstellung!
„Jean Tinguely. Super Meta Maxi“ | bis 14.8. | Museum Kunstpalast in Düsseldorf | 0211 5667 21 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zweierlei Romantik
Caspar David Friedrich im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 12/20
Bilder als Widerstand
Malerei in der DDR in Düsseldorf – Kunst in NRW 11/19
Vor hundert Jahren
„Das junge Rheinland“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/19
Chronist zu seiner Zeit
Lucas Cranach im Museum Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 06/17
Ein Fest dem Schleier
„Hinter dem Vorhang“ im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/16
Schumann-Saal lässt aufhorchen
Die Düsseldorfer Planer arbeiten am Puls der Zeit – Klassik am Rhein 10/16
Licht und Schatten
Zurbarán in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/15
Das aktuelle Museum
Monica Bonvicini in der Kunsthalle Bielefeld – Kunst in NRW 11/20
Die Wirklichkeit virtuell
Simon Denny in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/20
Vor den Toren von Kalkar
„Arnt der Bilderschneider“ in Köln – Kunst in NRW 09/20
Licht und Schatten in New York
Berenice Abbott in der Photographischen Sammlung in Köln – Kunst in NRW 08/20
Sieben Jahre
Picasso in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/20
Helden des Surrealismus
Salvador Dalí und Hans Arp im Museum Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 06/20
Ruhe im Sturm
Jonas Burgert im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 05/20
Sehen und Zeigen
„Subjekt und Objekt“ in der Kunsthalle Düsseldorf – Kunst in NRW 05/20
Hinter Masken
Michael Sandle in Wuppertal – Kunst in NRW 03/20
Fremde Räume
Simon Schuberts „Schattenreich“ in Leverkusen – Kunst in NRW 02/20
Helden der Malerei
Oehlen und Dunham in Düsseldorf – Kunst in NRW 01/20
Maler unterwegs
„Jetzt!“ im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/19
Licht und Feuer
Otto Piene in Remagen – Kunst in NRW 10/19
Menschen und Farbe
Martin Parr in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/19
Aus der Heimat in die Welt
Ai Weiwei in Düsseldorf – Kunst in NRW 08/19
Fenster in die Welt
Anna Oppermann in Bielefeld – Kunst in NRW 07/19