Ist dies nun – mit der geringen Anzahl an kleinformatigen, auf Sockeln präsentierten Skulpturen – eine Art Kabinettausstellung oder eine mustergültige Werkschau? Vor dem Hintergrund, dass der Münchner Bildhauer Karl Röhrig (1886-1972) in unserer Region völlig unbekannt ist und überhaupt nur selten ausgestellt wurde, macht es Sinn, dass im Zwischengeschoss des Von der Heydt-Museums jede Skulptur für sich gezeigt wird: als separates Ereignis mit erzählerischen und formalen Qualitäten. Eine Ahnung des künstlerischen Ranges liefert bereits der Eingangsraum, in dem Gerhard Finckh als Museumsdirektor und Kurator skulpturale Meisterwerke aus dem Bestand des Von der Heydt-Museums zusammenfasst, die sozusagen den Kontext und die Zeit umreißen, in der Karl Röhrig seinen Stil entwickelt hat. Diese Skulpturen von Christoph Voll, Lehmbruck, Barlach oder Kollwitz sind figürlich und sie betonen die körperliche Verfasstheit als Modi des Existenziellen und des Sozialen.
Das betrifft nun auch das Werk von Karl Röhrig. Aber seine Skulpturen aus Holz, Stein, Terrakotta und Bronze sind handfest, mitten aus dem Leben genommen und an dieses gerichtet. Röhrig, der zunächst in Dresden studiert und das Studium dann in München – vor dem Ersten Weltkrieg an der Kunstgewerbeschule und nach dem Ersten Weltkrieg an der Kunstakademie – fortgesetzt hat, stammt aus einer klassisch figurativen Tradition. In der Ausstellung im Von der Heydt-Museum wird er vorrangig als Holzschnitzer vorgestellt, der sozialkritische Beobachtungen mit dem Blick fürs Detail umsetzt. Röhrig nahm seine Umgebung überaus aufmerksam wahr, und er war – mit den Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg – Pazifist. Sein Wunsch, 1932/33 zu emigrieren, scheiterte an finanziellen Mitteln; vielmehr erhielt er 1942 Arbeitsverbot und wurde eingezogen und gelangte schließlich in Gefangenschaft. Es sind allerdings nur wenige skulpturale Werke, die dieses Schicksal in der Ausstellung unmittelbar zum Ausdruck bringen – da sind „Der Mann von der Winterhilfe“ (1933), mit der Zigarre im Mundwinkel und gönnerhaftem Habitus, dazu das Hakenkreuz am Revers, und der heimkehrende „Mann mit Sack“ (1945). Solche Skulpturen verfügen über eine Innigkeit und Punktgenauigkeit, die beeindruckt und die sein ganzes Werk kennzeichnet. Bei den „Zwei Boxern“ (1932) aus Bronze wird jeder Muskel in seiner Anspannung sichtbar; mustergültig sind Standbein und Spielbein austariert. Im gleichen Jahr ist die „Familie Kann“ in Holz entstanden, die bei der Autofahrt beobachtet ist, mit ihren Accessoires und Posen notiert aus bildhauerisch aufregender Position von schräg oben, sozusagen durch die Frontscheibe, ohne Frontscheibe. Die Szene mit Katze und Hund, die zunächst komisch und bildhauerisch originell ist, trägt einen deutlich kritischen Unterton. Das Ehepaar – er hinterm Lenkrad mit Zigarre im Mund, sie mit Katze auf dem Schoss und Hut und gezupften Augenbrauen – steht für eine großbürgerliche Schicht, die mit einer gewissen Brutalität ihren Reichtum zur Schau stellt. Statt vielköpfiger Kinderschar thront auf der Hinterbank der Hund. Karl Röhrig erweist sich hier als sozialkritischer Künstler, der ein subtiles Gespür für den Protest entwickelt hat und – auch dazu gibt es Skulpturen – diesen auf die Nationalsozialisten hin justiert.
Im Von der Heydt-Museum sind die Skulpturen, die doch so sehr vom Leben handeln und eine gewisse Bescheidenheit besitzen, sozusagen overdressed: Innerhalb eines Plateaus sind sie auf Sockeln auf Abstand gerückt und zugleich mit Strahlern theatralisch beleuchtet. Die unmittelbare Anschauung, zum Teil auch die Umquerung ist so leider nicht möglich. Vor der inhaltlichen Aufladung und der Bedeutung, die in jeder dieser Arbeiten steckt, geht das in Ordnung. Karl Röhrig gehört zu den wichtigen und leider doch unbekannten sozialkritischen Bildhauern zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, das vermittelt die Ausstellung sehr eindrucksvoll.
„Karl Röhrig“, bis 17. Juni im Von der Heydt-Museum in Wuppertal, www.roehrig-ausstellung.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Aus den verborgenen Schätzen
Das Schaudepot im Von der Heydt-Museum in Wuppertal
Perspektiven aufs Museum
„Museum A – Z“ im Von der Heydt-Museum
„Wir lieben Heldengeschichten“
Nelly Gawellek von der Kölner Anna Polke-Stiftung über „Nachstellung“ im VdH-Museum – Sammlung 05/25
Vom Wesen der Sammlung
Die Sammlung im Von der Heydt-Museum
„Er hat sich den Berserker der Malerei genannt“
Kuratorin Anna Storm über „Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“ im Von der Heydt-Museum – Sammlung 01/25
Blick für das Eigene
Meisterwerke der Sammlung im Von der Heydt-Museum
Schnittige Raumkonzepte
Lucio Fontana im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 11/24
„Es geht bei ihm ja immer um Löcher und Schnitte“
Direktor Roland Mönig über „Lucio Fontana: Erwartung“ im Von der Heydt-Museum – Sammlung 10/24
Blick auf die Wände
Schaudepot für die Gemälde im Vdh-Museum
Nicht nichts
100 Jahre Abstraktion im Wuppertaler Von der Heydt-Museum – kunst & gut 06/24
Mit fremden Federn
Lothar Baumgarten im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 05/24
„Er hat sehr feinsinnige Arbeiten erschaffen“
Kunsthistorikerin Anna Storm über die Ausstellung zu Lothar Baumgarten im VdH-Museum – Interview 03/24
„Kunst voller Widersprüche“
Kuratorin Felicity Korn über die Ausstellung zu Hans-Peter Feldmann in Düsseldorf – Sammlung 09/25
„Wuppertal war eine wichtige Etappe für Eberts Aufstieg“
Der Historiker Reiner Rhefus über die Ausstellung „Friedrich Ebert und seine Zeit“ – Interview 08/25
„Es ist schon wichtig, dass es Erklärungen gibt“
Die Kuratorin Judith Winterhager über „Sex Now“ im Düsseldorfer NRW Forum – Sammlung 08/25
Trotzdem happy
„Do Worry Be Happy“ in der Kunsthalle Barmen – kunst & gut 07/25
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
„Kein ausschließlich apokalyptischer Nachklang“
Kuratorin Katja Pfeiffer über „Do worry, be happy“ in der Kunsthalle Barmen – Sammlung 06/25
„Menschen, die ihre Endlichkeit im Gesicht tragen“
Direktor Jürgen Kaumkötter über die Ausstellung zu Marian Ruzamski im Solinger ZfvK – Sammlung 05/25
Harter Stoff
Peter Buggenhout in Wuppertal – kunst & gut 04/25
Hannibal, ungeschönt
Latefa Wiersch im Dortmunder Kunstverein – Kunst 03/25
„Alltägliche Dinge, die uns fremd werden“
Kurator Fritz Emslander über „Zusehends“ von Eric Lanz im Museum Morsbroich – Sammlung 03/25
Geschichten des Lebens
Anna Boghiguian im Kölner Museum Ludwig – Kunst 02/25
Die Welt als Suppe
„Vida y Muerte“ von Miquel Barceló in Duisburg – kunst & gut 02/25