Angefangen hat es mit alten Fahrradreifen. Zu Besuch in Berlin sah Thomas Zigahn, Gründer von Tanz auf Ruinen, einen aus Fahrradreifen hergestellten Gürtel. Das könne er auch selbst. Als schon bald immer mehr Freunde Interesse anmelden, entsteht seine Geschäftsidee – allerdings mehr aus der Einsicht, das nicht dauerhaft kostenlos machen zu können. Daraus entwickelt hat sich die Upcycling-Kunstwerkstatt. Es geht darum, Müll zu verwerten und daraus neue, hochwertige Produkte zu schaffen. Das Angebot rangiert von Notizbüchern aus alten Disketten bis hin zu Ohrringen oder Ohrsteckern, Amuletten und Uhren. Das Material dafür bekommt er entweder geschenkt oder er sammelt es auf dem Weg durch Dortmunds Straßen auf. Grundsätzlich solle auch alles eine Funktion haben und nicht nur Deko sein, betont Zigahn. Eine handwerkliche Ausbildung habe er nicht, meist reiche etwas Ausprobieren oder ein paar erklärende Videos im Netz. Mittlerweile kommt auch die Erfahrung hinzu, die er in den Jahren gewonnen hat und nun bei Workshops für Schulklassen und Vorträgen über Nachhaltigkeit weitergibt.
Diagnose: Nicht systemrelevant
Während der Corona-Pandemie sei durch den Ausfall von Veranstaltungen und Messen mehr als die Hälfte des normalen Umsatzes weggebrochen, was den Anstoß gegeben hat, sich verstärkt der Kunst zu widmen. Kunstvolle Schmetterlinge aus alten Briefmarken und eine Ausstellung über die Tyrannen dieser Welt sind daraus entstanden. Nicht zuletzt auch eine Reihe über die Probleme während der Pandemie und die Auseinandersetzungen mit Deutschlands Bürokratie. „Die Erkenntnis, die während der Pandemie übermittelt wurde, ist leider, dass Kunst und Kultur nicht systemrelevant sind“, lautet das ernüchternde Fazit. Gegen das Absagen von Messen und Veranstaltungen im Sinne des Infektionsschutzes habe er grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Problem aber sei die fehlende Planbarkeit: „Es gab keine Alternativen, keinen Plan B.“ Da seine laufenden Betriebskosten extrem niedrig seien, habe ihm die Erstattung nicht groß geholfen. Über Wasser hält sich Zigahn derzeit durch zwei Kunst-Stipendien.
Politischer Wille und Einzelverantwortung
Zigahns Werkstatt besteht fast vollständig aus Sperrmüll und Fundstücken, selbst den Monitor habe er aus dem Müll gerettet. Für sein Handy hat er zwei kaputte Samsung-Geräte zu einem funktionstüchtigen zusammengesetzt. Möbel aus dem Sperrmüll, Klamotten gebraucht oder gratis – wer weniger konsumiert, braucht auch nicht so viel, um auszukommen. Er habe trotzdem nicht das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen: „Das ist sicherlich eine Umstellung, aber kein Verzicht.“ Es gebe bestimmte Dinge, die man von allen erwarten könne – sei es nur ein eigener Kaffeebecher, um unnötigen Verpackungsmüll zu vermeiden. „Wenn man das nicht macht, ist es einfach Faulheit.“
Die Verantwortung liege zwar nicht beim Individuum, trotzdem glaubt Zigahn daran, dass jeder Einzelne eine gewisse Macht habe. Das Angebot richtet sich schließlich nach der Nachfrage – auch McDonald’s verkaufe mittlerweile vegane Burger. Aber einzelnen Menschen sei es kaum möglich, durch ihr Konsumverhalten etwas an Überproduktion, Kurzlebigkeit von Produkten und Ressourcenverschwendung zu ändern. „Was hier fehlt, ist politischer Wille.“ Es wird wohl vorerst noch dauern, bis Zigahn auf seiner Route durch Dortmunds Nebenstraßen nicht mehr fündig wird.
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