Wieder einmal war Christian Lindner zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Am 1. April wurde er mit 99,7% der Stimmen zum FDP-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gewählt. 99,7%–ein Ergebnis wie bei der Wahl zum Generalsekretär der SED. Für den gebürtigen Wuppertaler ist dies ein weiterer Schritt in einer steilen Karriere. 1994, im gleichen Jahr wie der FDP-Bundesvorsitzende Philipp Rösler und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, trat er als Schüler in Wermelskirchen den Jungliberalen bei. „Weil uns die Partei am Herzen lag”, begründet er den Schritt später. Geschadet hat es ihm nicht. Mit 21 zieht er im Landtag ein, mit 25 wird er Generalsekretär der NRW-FDP, mit 30 Generalsekretär der Bundes-FDP. Im Dezember 2011 trat er davon zurück, jetzt tritt er wieder an. Nicht nur als Spitzenkandidat, sondern als der intellektuelle Retter einer unglaubwürdig gewordenen Partei.
Für Christian Lindner ist die Freiheit der Markenkern der FDP
Von Guido Westerwelle ist bekannt, dass er während einer Grundsatzrede von FDP-Urgestein Gerhart Baum einmal Umfragewerte studierte. Lindner dagegen trifft sich mit der „FAS“zum Gespräch über den schottischen Moralphilosophen David Hume und schafft es dabei, dessen Philosophie nur kursorisch zu streifen. Stattdessen sagt er Sätze wie „Bevormundende und gleichmacherische Gesellschaften sind graue und statische Gesellschaften.“ Sätze zum Abnicken, Sätze für Gläubige. Denn für seinen Glauben wird er gewählt. „Ich würde lieber über das sprechen, was die Identität meiner Partei ausmacht”, meint er im Interview mit der „Welt am Sonntag“, als diese über Wachstum und Steuersenkungen reden will. Eine gute Gelegenheit für den studierten Philosophen Lindner, die großen Namen der FDP-Geschichte fallen zu lassen: Hans-Dietrich Genscher, Gerhart Baum und Ralf Dahrendorf. Sie verkörpern für den Gründer einer Werbeagentur den Markenkern der FDP–die Freiheit. Diese Freiheit verteidigt er gegen ihre vermeintlichen Feinde: den Paternalismus der Grünen, die Sozis und ihre Schuldenpolitik und das Besitzbürgertum der CDU. Gelernt hat er diese Rhetorik von Friedrich von Hayek. Der österreichische Philosoph kämpfte Zeit seines Lebens gegen einen Strohmann namens „Sozialismus“. Lindners Rhetorik funktioniert dann auch nur deshalb, weil er sich selbst davon ausnimmt. Während er heute die „Freiheit des Internet-Nutzers (…) vor der Sammlung seiner Daten“ schützen will, waren ihm die Pläne des ehemaligen FDP-Innenministers Ingo Wolf für die Einführung einer Spähsoftware in NRW 2007 keinen innerparteilichen Konflikt wert. Allzu konkret darf der Markenkern „Freiheit“ dabei nicht werden, das gilt nicht nur für ihn, sondern auch für seine Partei. „Mehr öffentlich-private Partnerschaften“ trügen dazu bei, „kommunale Strukturen moderner und effizienter zu gestalten”, heißt es im Wahlaufruf der FDP. Was das bedeutet, haben die Wuppertaler bei der Privatisierung ihres Kanalnetzes und des Müllheizkraftwerks am eigenen Geldbeutel erfahren.
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