Ein Nachbarschaftsstreit in einer gutbürgerlichen Eigenheimsiedlung ist nichts gegen das, was sich in den letzten Monaten im Rat der Stadt Wuppertal ereignete. Der Disput, der letztlich zur Spaltung der CDU-Fraktion führte, wurde aber nicht wegen zu hohen Hecken, spielenden Kindern oder Partylärm ausgetragen. Es ging um Bedeutenderes: um Geld und Macht. Einige Mitglieder des Fraktionsvorstandes warfen ihrem Vorsitzenden den selbstherrlichen Umgang mit Personalkosten vor. Daraufhin wollte Fraktionschef Bernhard Simon jene Querulanten aus dem Vorstand abwählen lassen und zu diesem Zweck die Satzung ändern, die hierfür bislang eine Zweidrittel-Mehrheit vorsah. Inzwischen sind neun Ratsfrauen und -männer aus der CDU-Fraktion ausgetreten und haben eine eigene gegründet, die Fraktion der Christlich Demokratischen Bürger (CDB). Die Union ist somit nach der SPD nur noch zweitstärkste Kraft im Stadtparlament. Soweit die Vorgeschichte, die allerdings kommunalpolitisch interessierten Lesern bekannt sein dürfte.
Aber interessieren sich viele Menschen überhaupt noch für Lokalpolitik? Früher bekleidete ein Ratsherr ein einigermaßen ehrenwertes Ehrenamt. Zwar gingen manche Zeitgenossen in die Politik, um sich durch so entstandene Beziehungen einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Landwirte konnten durch ihre Parteifreunde Ackerland zu Bauland umwidmen lassen. Firmen konnten lukrative Aufträge erhalten. Auch war die Lokalpolitik in der Regel die Eintrittskarte für die große Politik. Der Karriereweg der Landes- und Bundespolitiker führte zwangsläufig durch die verrauchten Hinterzimmer der Kneipen, in denen die Bezirksversammlungen tagten. Aber der Mehrheit der Mandatsträger lag damals das Gemeinwesen am Herzen. Oder? Zumindest war der Lokalpolitiker schon immer jemand, der sein Foto gern in der Zeitung sah. Und vor langer Zeit waren die Anlässe, die mediale Aufmerksamkeit mit sich brachten, durchaus angenehm. Hier wurde ein Kindergarten eingeweiht, dort ein Einkaufszentrum eröffnet. Die Zeiten aber haben sich geändert. Der Stadtsäckel ist kein wundersames Füllhorn mehr. Aufträge müssen europaweit ausgeschrieben werden. Der Politiker wird nicht mehr als Wohltäter, sondern als Kürzer und Streicher wahrgenommen. Und für die weitere politische Karriere ist der Posten als Ortsvorsteher einer Partei eher hinderlich. Wer mit 38 Jahren Vizekanzler wird, hat keine Zeit, sich um die Baumsatzung und die Friedhofsordnung im Heimatdorf zu kümmern.
„Die Finanzsituation der Kommunen wird als Politikersatz missbraucht.“
Ist Lokalpolitik also angesichts leerer Kassen überflüssig geworden? Fragt man die betroffenen Bürgervertreter, bekommt man andere Antworten. Die Gestaltungsmöglichkeiten im Rat seien längst nicht ausgereizt. So sagt Lorenz Bahr von den Grünen: „Die Finanzsituation der Kommunen wird als Politikersatz missbraucht. Der Stadtkämmerer spricht: ‚Nichts geht mehr, alles unterliegt der Haushaltskonsolidierung.‘ Die Politiker verstecken sich hinter ihm. Dabei bleibt jede Kreativität auf der Strecke und es geht tatsächlich nichts mehr.“ Auch Jörn Suika von der FDP sieht das Problem im fehlenden Selbstbewusstsein seiner Ratskollegen. Entscheidungen würden ohne Not an die Verwaltung abgegeben. Politikverdrossenheit würde sich breit machen und diese würde sich auch auf die Medienberichterstattung auswirken. „In der letzten Ratssitzung sind die Pressevertreter eine Stunde vor Ende der Sitzung gegangen, so dass niemand mitbekommt, was im Stadtrat passiert. Während in ebenfalls unter Nothaushalt leidenden Nachbarstädten die Presse einen Online-Liveticker über Ratssitzungen erstellt, geht bei uns die Presse.“ Der grüne Fraktionsvorsitzende Peter Vorsteher hingegen sieht vor allem den Imageschaden: „Der Konflikt in der CDU tut allen Parteien weh. Die Öffentlichkeit erwartet von uns gerade in schwierigen Zeiten konstruktives Verhalten.“
Die Fraktionssitzungen dienen dazu, die im inneren Zirkel gefassten Beschlüsse abzunicken
Die Lähmung der Kommunalpolitik mag auch an der langjährigen Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD in der Stadt liegen. Jeden Mittwochmorgen, so berichtet ein Insider, sitzen Fraktionsgeschäftsführer und Fraktionsvorsitzende von CDU und SPD mit dem Oberbürgermeister und dem Stadtkämmerer zusammen, um über die Entscheidungen der Woche zu beraten. Die Fraktionssitzungen der beiden großen Parteien hingegen dauern in der Regel nur eine Stunde und dienen dazu, die im inneren Zirkel gefassten Beschlüsse abzunicken. Die zahlenmäßig kleine Opposition im Rat ist machtlos. Dieser Zustand könnte sich durch die Spaltung der CDU-Fraktion ändern. Ohne CDB-Fraktion verfügen SPD und CDU nur noch über eine hauchdünne Mehrheit. Und wenn bis zur nächsten Kommunalwahl der Riss zwischen den Christdemokraten nicht gekittet ist, könnte die CDB eigenständig kandidieren und so Leben in die Wuppertaler Parteienlandschaft bringen. Jede Krise kann auch eine Chance sein.
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