Immer weniger Menschen gehen seit der vergangenen Bundestagswahl 2021 bei den Demonstrationen von Fridays for Future (FFF) auf die Straße. Warum sollten es auch mehr werden? Immerhin ist doch der angebliche politische Arm der Bewegung, Bündnis 90/Die Grünen, in der Bundesregierung. Dabei war schon deren Bundestagswahlprogramm nicht geeignet, die Erderhitzung effektiv auf den Richtwert von 1,5 Grad Celsius zu begrenzen — bei dem irreversible Kipppunkte das Weltklima auf ewig negativ verändern. Vom anschließend mit FDP und SPD geschlossenen Ampelkoalitionsvertrag ist im Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel gänzlich zu schweigen.
Grünes Whitewashing
Ähnlich wie sich die Umweltschutzorganisation World Wildlife Fund (WWF) aufgrund zahlreicher Kooperationen mit Konzernen mit dem Vorwurf des Whitewashings der Industrie konfrontiert sieht, Greenpeace vorgeworfen wird, an Biss verloren zu haben und die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd nicht zuletzt durch einen Personenkult um den eigenen Gründer hervorsticht, muss den Grünen der Vorwurf gemacht werden, Greenwashing der Bundespolitik zu betreiben. Und das wiederum könnte zu einer fulminanten Radikalisierung von Teilen der Klima-Bewegung führen.
Was ist mit Greenwashing der Politik gemeint? Die Grünen verpassen der Politik der Bundesregierung zwar einen grünen Anstrich, einfach weil sie seit ihrer Gründung die Öko-Partei sind. Doch hinter dem Anstrich tun sie im Verbund mit den Neoliberalen von der FDP genau das: Den herrschenden Konzernen und Branchen — Automobil-, Chemie-, Energieindustrie sowie Banken und Versicherungen — weiterhin gigantische Profite zulasten des Weltklimas sichern. Ein drastisches Beispiel, wenn auch im Kontext des Ukraine-Kriegs, stellt die in letzter Sekunde abgeblasene Gas-Umlage dar, die die betroffenen Konzerne — Stichwort Lobbyismus — im Verbund mit Robert Habecks (B90/Grüne) Wirtschaftsministerium entwickelten. Von der Gasumlage hätten nicht nur von höheren Beschaffungskosten betroffene Unternehmen wie „Uniper“ profitiert, sondern auch nur bedingt betroffene Energiekonzerne. Mithilfe der Gasumlage wären, entgegen aller Beteuerungen von Habeck, die Profitmargen von Konzernen auf dem Rücken der prekarisierten und arbeitenden Bevölkerungsschichten abgesichert oder gar erhöht worden. Und das ist nichts anderes, als klassische neoliberale Umverteilungspolitik von unten nach oben.
Grüne RAF?
Vor dem Hintergrund des grünen Politikversagens, stellt sich somit die berechtigte Frage, ob sich die Klimabewegung radikalisieren sollte oder muss, will sie das verbleibende Zeitfenster bis längstens 2030 nutzten, um das Ruder noch herumzureißen? Der Klima- und LGBT-Aktivist Tadzio Müller malte im November 2021 in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel schon einmal genüsslich das Bild einer „grünen RAF“ an die Wand. Vom Versagen der polit-ökologischen Elite frustrierte Aktivisten könnten in den Untergrund gehen, um Anschläge gegen die fossile Infrastruktur zu verüben. Dabei denkt Müller nicht an Entführungen, Bomben- und Mordanschläge wie vor Jahrzehnten von der RAF verübt, sondern in der Kategorie des zivilen Ungehorsams. Die will Müller aber auf den Bereich von Sabotage-Akten erweitert sehen. Als Beispiel ließe sich das Gleisbett-Schottern bei den Castor-Transporten nach Gorleben 2010/11 anführen, mit dem die Bahnstrecke sabotiert wurde.
Eines macht die Debatte deutlich: Allein grün wählen und dann die Hände in den Schoß legen, überschätzt sowohl die Grünen, als auch das parlamentarische Systems der BRD. Denn dieses ist zwischen den Wahlen vor allem Lobbyinteressen ausgesetzt. Dagegen braucht es Widerstand.
UNARTIG - Aktiv im Thema
artenvielfalt-nrw.de | Der Netzauftritt der Volksinitiative Artenvielfalt zeichnet auch nach, wie die Politik die Forderungen nach mehr Artenschutz abgelehnt hat.
scientistrebellion.com/ | Der internationale Zusammenschluss von Wissenschaftler und Akademikern fordert von der Politik konsequenten Klima- und Artenschutz.
deutschlandfunkkultur.de/ngos-unter-legitimationsdruck-die-guten-zu-sein-reicht-100.html | Der ausführliche Beitrag diskutiert Kritikpunkte, die gegen NGOs vorgebracht werden.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Feilschen statt regieren
Intro – Unartig
„Dem Umweltministerium ein Vetorecht geben“
Meeresbiologe und Greenpeace-Aktivist Thilo Maack über Umweltschutzorganisationen – Teil 1: Interview
Aufmerksamkeit als Waffe
Wuppertals Ortsgruppe von Extinction Rebellion setzte auf starke Bilder – Teil 1: Lokale Initiativen
Macht’s gut und danke für all den Fisch
Behördlicher Artenschutz gegen wissenschaftliche Fakten – Teil 2: Leitartikel
„Wir leisten uns falsche Repräsentanten“
Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht über mangelhaften Naturschutz – Teil 2: Interview
Nachschub für die Wildnis
Artenschutz im Kölner Zoo – Teil 2: Lokale Initiativen
Just in my Backyard!
Naturbewahrung in der Wohlstandswelt – Teil 3: Leitartikel
„Die wohl größte Krise, vor der wir stehen“
Ökologe Klement Tockner über die Bedeutung der Artenvielfalt – Teil 3: Interview
Vielfalt am Tümpel
Die „Ökozelle“ des Naturschutz Hattingen – Teil 3: Lokale Initiativen
Neptungras for Future
Schutz von Seegraswiesen im Mittelmeer – Europa-Vorbild: Kroatien
Der unglaubliche Alk
Von einem Vogel, den es nie wieder geben wird – Glosse
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Stimmen des Untergangs
Teil 1: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 3: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 1: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 3: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Sehr alte Freunde
Teil 1: Leitartikel – Warum der Hund zum Menschen gehört
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 2: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen
Wildern oder auswildern
Teil 3: Leitartikel – Der Mensch und das Wildtier
Pippis Leserinnen
Teil 1: Leitartikel – Zum Gerangel um moderne Lebensgemeinschaften
Durch dick und dünn
Teil 2: Leitartikel – Warum zum guten Leben gute Freunde gehören