Wenn es um den Erhalt der Artenvielfalt geht, zeigt sich der Erdenbürger durchaus engagiert. So setzt er beispielsweise im Rhein-Neckar-Kreis gesetzlich ein Ausgehverbot für Katzen durch. Wäre der Mensch konsequent in seinem Kampf gegen das Artensterben, müsste er sich natürlich zuallererst selbst ein Ausgehverbot auferlegen. Und das wäre noch das Mindeste. Stattdessen aber stellt er lieber Katzen für den Tod gewisser Vogelarten an den Pranger. Beispiel: der Stephenschlüpfer. So hat ein Kater namens Tibbles 1895 auf der neuseeländischen Stephens Island den letzten Stephenschlüpfer seiner Art getötet. Dass die Vogelart ursprünglich weitläufig auf dem Festland angesiedelt war, in der Folge durch von Menschenhand eingeschleppte Ratten dezimiert und nach Stephens Island vertrieben wurde, wird gern verschwiegen. An sich gab Tibbels der Vogelart bloß den finalen Todesstoß.
Tibbels‘ Todesstoß
Egal: Katzen bedrohen die Artenvielfalt, meint so mancher Gartenfreund und fordert zum Artenerhalt das wenig artgerechte Ausgehverbot. Währenddessen sterben pro Tag bis zu 130 Arten auf diesem Planeten. Das Artensterben liegt damit um bis zu Faktor 1.000 über dem natürlichen Wert. Damit hat die Katze nichts zu tun – wohl aber Katzenbesitzer und –nichtbesitzer: der Mensch. Der weiß das sogar und schreibt es auf. Zuletzt 2020 ins Nagoya-Protokoll. Demnach sterben Arten vor allem aus wegen unserer verantwortungslosen Landnutzung, der chemischen Belastung und dem menschgemachten Klimawandel. Nur darf man den Menschen nicht danach beurteilen, was er sagt und aufschreibt, sondern danach, was er tut und macht. Denn der Mensch beschränkt sich gern aufs Reden. „Not in my Backyard“ heißt das Prinzip, wonach unsereins grundsätzlich eherne Werte und Ambitionen befürwortet – solang deren Umsetzung nicht unser unmittelbares Umfeld beeinträchtigt. Aktuelles Beispiel: Windräder. Regenerative Energien find ich super, aber bitte not in my Backyard! Die Forderung nach dem Ausgehverbot für Katzen nun ist die irrwitzige Umkehr dieses Prinzips: Dass 130 Arten am Tag sterben, damit kann ich leben. Aber wehe, eine Katze zerlegt in meinem Garten einen Vogel! Dann fährt der Mensch Geschütze auf, opfert Zeit und Energie bis in die höchste Instanz. Zur Rettung der Erde? Nein. Zur Rettung meiner Komfortzone. Just in my Backyard! Wer will, kann das alles nach Bedarf variieren und das Verbot von Windrädern mit dem Schutz einzelner Vögel rechtfertigen. Windräder, die auf lange Sicht massiv zur Arterhaltung beitragen werden.
Rettung meiner Komfortzone
Und die Politik? Sie folgt mutlos dem Wähler, denn sonst wird sie abgewählt. Und der Wähler wünscht keine Veränderung. Die Politik ist so träge wie die Gesellschaft ist so träge wie die Politik. Und wenn sich dann doch einmal international ein FCKW-Verbot durchsetzt, dann doch vor allem deshalb, weil es kaum Einschränkungen mit sich bringt im Backyard. Der Raubbau der Natur, den wir Menschen in den letzten zwei Jahrhunderten zunehmend ausufernd betreiben, geht direkt einher mit dem Artensterben. Denn wo der Mensch Lebensräume vernichtet, lässt’s sich nicht mehr leben. Eben. Dass die intelligenteste und reflektierteste aller Arten sich dabei selbst die Lebensgrundlage entzieht, davon will sie nichts wissen. Dumm nur, dass der Mensch es trotzdem weiß. Aber er ist Meister der Verdrängung und beömmelt sich lieber über junge Menschen, die ihn, wenn’s zu spät ist, fragen: „How dare you?“ Der Mensch handelt eben nur, wenn ein toter Singvogel im eigenen Garten liegt. Und wie!
UNARTIG - Aktiv im Thema
artenvielfalt-nrw.de | Der Netzauftritt der Volksinitiative Artenvielfalt zeichnet auch nach, wie die Politik die Forderungen nach mehr Artenschutz abgelehnt hat.
scientistrebellion.com/ | Der internationale Zusammenschluss von Wissenschaftler und Akademikern fordert von der Politik konsequenten Klima- und Artenschutz.
deutschlandfunkkultur.de/ngos-unter-legitimationsdruck-die-guten-zu-sein-reicht-100.html | Der ausführliche Beitrag diskutiert Kritikpunkte, die gegen NGOs vorgebracht werden.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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