engels: Herr Hüster, der Textberg von Thomas Mann ist riesig, das Theater Engelsgarten klein. Was macht der Regisseur da?
Henri Hüster: Wir haben schon zwei Mal im Engelsgarten gearbeitet – Richard III war auch ein Stück, das von der Personage und vom Inhalt eigentlich „zu groß“ für dieses Theater war. Gleichzeitig ist es so ein toller Raum, in dem sich eine große Geschichte, die einen großen Raum will, trotzdem mit einer Intimität erzählen lässt. Thomas Mann hat angefangen, den Zauberberg zu schreiben und dachte, er schreibt eine ganz kleine humoristische Novelle – das Gegenstück zu „Tod in Venedig“ – und dann ist ihm dieser Stoff über zwölf Jahre immer mehr ausgewuchert, wir verdichten nun wieder. Wir arbeiten an einer Fassung, die eine große Nähe zwischen dem Publikum und den Figuren des Zauberbergs herstellen will. Im Zentrum steht das Vergehen der Zeit, gemeinsam empfunden von Publikum und Darsteller:innen. Es ist interessant, im Engelsgarten nicht nur vier-Personen-Stücke anzusetzen, sondern auch Stücke, die diesen Raum verändern können.
Also wird das eher eine Time Warp-Zauberberg-Performance?
Eine Performance wird es nicht. Wir erzählen die Geschichte. Wir haben Julia Wolff als Thomas Mann besetzt, diese Figur tritt auf als auktorialer Erzähler, behauptet alle Figuren im Griff zu haben und den Abend als Conférencier beginnt und nach und nach entgleitet es ihm dann. Es vermischt ist sich alles immer mehr, die Geschichte und die Figuren des Zauberbergs, Thomas Manns Privatleben, seine politischen Ansichten – und das ist spannend. In den Jahren der Entstehung des Romans wandelt sich Thomas Mann vom nationalkonservativen Dichter zum Verteidiger der Demokratie – auch dieser Konflikt ist im Zauberberg abgebildet, im Duell zwischen Naphtha und Settembrini. Bei uns gespielt von Hans Richter und Alexander Peiler.
Was ist das Tolle daran, große Literatur in ein Theaterformat zu quetschen?
Thomas Mann konnte wahnsinnig lebendige Figuren schreiben, die wir auf der Bühne noch ganz anders zum Leben erwecken können. Allein die Vorstellung wie Rebekka Biener einen Hans Castorp spielen wird, macht mich schon aufgeregt und vorfreudig. Quetschen? Thomas Mann tut es gut gekürzt zu werden und in Konzentration gebracht. Ich weiß nicht, welcher junge Mensch heute den ganzen Zauberberg lesen würde. Aber diese Figuren bleiben so im Kopf, denn Thomas Mann schildert alle mit Liebe, menschenfreundliche Ironie nennt er das. Das ist ja das Prinzip der griechischen Tragödie, dass Figuren auftreten, die erstmal recht haben. Im Zauberberg ist da ein junger Mensch, der im Leben nicht so richtig weiß wohin, er hat gerade sein Studium beendet und plötzlich bleibt er da oben und durchläuft so eine Art Lebensstudium und interessiert sich plötzlich für alles.
Gibt es denn auch Ereignisse, die ignoriert werden – oder die gestrichen wurden?
Es gibt viel, was gestrichen wird. Eine Geschichte, von der wir uns schweren Herzens trennen mussten, ist die Liebesgeschichte von Joachim Ziemßen und die schöne Parallelität zu Hans Castorps Liebesgeschichte.
Aber der Schneesturm wird dabei sein, oder?
Ja. Wir werden das bei den Proben ausprobieren, ob wir nicht sogar mit dem Schneesturm beginnen. Der Schneesturm ist ja als Szene total berühmt – und es finden sich Sätze von unglaublicher Schönheit darin. Hans Castorp erlebt da so eine Art Fantasietraum durch Erschöpfung, eine Mischung aus Utopie und Dystopie. In der Schneelandschaft sieht er plötzlich das Meer und „Sonnenleute“, die sehr höflich und freundlich zueinander sind, dahinter aber ein Tempel, in dem Kinder geopfert werden. Dann wacht er auf und fühlt, es gibt eben immer beides, Leben und Tod, das Helle und das Düstere und Mensch sein, heißt diese Ambivalenz auszuhalten.
Der Playmobil-Videoclip vom Zauberberg schafft die ganze Geschichte in elf Minuten. Wie lang werden denn die sieben Jahre Sanatorium in Wuppertal?
Es gibt ein Zitat von Thomas Mann: die Unterhaltsamkeit einer Geschichte misst sich nicht an der Dauer. Die Zeit ist das Thema des Romans, wenn wir an einen neuen Ort kommen beispielsweise, vergeht sie viel langsamer, so ergeht es Hans Castorp, dann fliegen Jahre an ihm vorbei und er war auf einmal sieben Jahre auf dem Zauberberg. Es wird elf Figuren auf der Bühne geben und extrem viel zu sehen und wir wollen, dass das Publikum denkt, wow, das ging ja total schnell. Zwischendurch geht es im Kontrast darum, die Zeit zu strecken, plötzlich eine Langsamkeit und ein Verharren, eben das Subjektive am Zeitempfinden zu erzählen. Ich denke, dass wir in ca. drei Stunden plus Pause durch sein werden.
Aber man braucht den Roman nicht mehr lesen, wenn man Ihre Inszenierung gesehen hat?
Nein, nicht unbedingt. Wir erzählen die ganze Geschichte in der Sprache von Thomas Mann. Hoffentlich ist man danach trotzdem neugierig auf den Roman.
Der Zauberberg (UA) | 20.5. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 56 37 666
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