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„Nathan der Weise“
Foto: Klaus Lefebvre

Kein höheres Wesen rockt uns besser

22. Dezember 2016

Shirin Khodadadian inszeniert „Nathan der Weise“ im Theater am Engelsgarten – Auftritt 01/17

Itzo sei es. Alle traten brav ein und suchten die Götter. Doch was die Zuschauer sehen, ist nur die schiefe Ebene, quasi eine Schieflage in kreisrundem Metall und erst mal ganz viel Qualm. Komisch für Wuppertal. Ja, mag denn der Teufel hier durchpassiert sein? Im Theater am Engelsgarten soll doch Gotthold Ephraim Lessing gegeben werden und sein weiser Jude aus dem Morgenland und nicht Gitarrengejaule und Tutu-Schnickschnack. Aber Shirin Khodadadian inszeniert eben einen „Nathan der Weise“ im Nichts, in einer ungenannten Welt, in einer ungenannten Zeit, und das macht sie sehenswert und überzeugend.

Oft bringt einen die überaus dramatische Geschichte um Gott und Toleranz eher zum Gähnen. Allein die Verwandtschaftsverhältnisse, die Lessing am Ende konstruiert, damit die seit gefühlt Jahrhunderten in Gymnasien hervor gekitzelte Pädagogik um die Ringparabel aufgeht, sind doch recht abenteuerlich. Am Ende steht der brave Jude ja doch irgendwie ohne Greifbares in der Hand da und ob man sich nicht doch, wo die familiären Banden ja geklärt sind, irgendwann seiner Barmittel bemächtigt, das könnte nur ein Sequel von Gotthold Ephraim zeigen. In Wuppertal geht er jedenfalls sehr nachdenklich von der Bühne zum Ausgang, während man am Hof des Sultans die Freudenorgien feiert.

Stefan Walz spielt imTheater am Engelsgarten diesenNathan, der sich für seine Zeit und für den Ort, an dem er lebt, ein ziemlich intellektuelles Weltbild erarbeitet hat.Er weiß, „dass alle Länder gute Menschen tragen“, er weiß aber auch, dass der Anteil an gefährlichen Dumpfbacken auch überall gleich ist. Deshalb eckt er nicht an, hält sich aus allem raus, still und reich, nicht einmal der Dauerpleitegeier Sultan Saladin kennt ihn. Als Ausgleich greift er gern mal zur Custom-Stratocaster und intoniert alte Rocksongs. Kein Wunder, dieser grandios stille Nathan ist keine 30 mehr.

Aus dem Riff folgt der Tears for Fears-Song „Everybody Wants to Rule the World“. Ja, zu Lessings Zeit schien das auch ein globales Model zu sein. Doch eine Strophe weiter: „Nothing ever lasts forever“. Klar, so einfach ist das dann nicht mit der Weltherrschaft. Ein wie immer überzeugender Thomas Braus als Sultan Saladin hat da irgendwie auch keinen Bock drauf. Geld, Ruhm, ist doch klar, „what you want is in your limo“ und nicht im Herrschaftsmonopol. Nur seine Schwester Sittah (Philippine Pachl) sieht das ein wenig anders, sie möchte nicht ihren Lebensstandard opfern – und sie kennt den reichen Juden.

Khodadadian arbeitet mit wenigen Requisiten in dieser zeitlosen Welt, wo eine Kunststoff-Silberpalme für den Orient reicht und ein paar Bürostühle für den Palast. Schachbrett für die Auseinandersetzungen zwischen den Religionen bleibt die schiefe, kreisrunde Ebene einer Welt, die sich bis heute nicht in die Waage gebracht hat. Dazu sind die Menschen nicht immer das, was sie scheinen. Derwisch Al Hafi (Doppelrolle als Klosterbruder: Miko Greza) kennt sich aus, meint aber nicht Nathans Tochter Recha, die elfengleich im Tutu über die Bühne schwirrt. Eine grandiose Lena Vogt, eine Mischung aus Björk und Princess of Power, bringt die alten Männer auf Trab. Außer natürlich den Patriarchen von Jerusalem (Alexander Peiler), der offensichtlich eher auf den jungen Tempelritter (Lukas Mundas) steht, obwohl der für christliche Würdenträger bereits ein wenig zu alt zu sein scheint. Diese Kirche ist auch in dieser Inszenierung zu Recht der ganz große Verlierer.

Und: Die beiden großen Streiter Saladin und Nathan haben sich da längst unter Discokugeln gefunden. Ist eben alles sehr schön silbrig, wir wissen ja, Gold wäre blöd, das hieße ja schweigen, aber in der Natur der Gottesanbeter und – innen liegt es, dass Leben beileibe kein Zuckerschlecken und ziemlich gefährlich ist. Es wird sehr laut unter den Herrschenden. Verbannung droht, die Dollars regnen vom Himmel. Ich glaube, beim Patriarchen auch ein „Goethe in Italien“-Standbild zu entdecken. Es ist ein performatives Kriechen und Argumentieren unter und über der schiefen Ebene, denn bei Lessing rocken jetzt die Intrigen, zwischen „Boys Don‘t Cry“ und der finalen „Wir haben uns alle lieb“-Performance. Ein aufregender Abend. Für den armen Nathan war‘s nicht so prickelnd. Mir fällt da für ihn Neil Young ein: „Keep on rocking in a free world“.

„Nathan der Weise“ | R: Schirin Khodadadian | Fr 6.1., Fr 13.1., Mi 3.2. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66

PETER ORTMANN

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