Die Darstellung des übertrieben leidvollen Patienten wurde bereits von Woody Allen perfekt inszeniert und ausgekostet, er gilt als Hypochonder par excellence. Schwierig, da noch nachzulegen und es stellt sich die Frage, ob die Figur des Hypochonders nicht eigentlich schon mehr als genug ausgereizt worden ist. Das TalTonTHEATER lässt sich davon aber nicht abschrecken und versucht, mit dem kabarettistischen Monolog „Hand aufs Herz“ alte Wege neu zu beschreiten.
Mit gediegenem Licht, sanfter Musik und frisch gezapftem Bier bereiten sich die Besucher auf die Inszenierung vor. Ein ganz normaler Abend im Theater scheinbar, wäre da nicht dieser eine Typ, der sich ganz allein an einen Tisch in der Mitte der Stuhlreihen setzt, Zeitung liest und sich trotzdem ständig zu allen Seiten umdreht. Mit dem stimmt doch was nicht. Egal, erst mal weiter am Bier nippen und auf den Beginn des Stücks warten. Dann endlich geht das Licht aus, die Musik verstummt und alle warten gespannt auf das, was sich da gleich auf der Bühne abspielen soll. Zunächst passiert Folgendes: gar nichts. Kein Schauspieler weit und breit zu sehen. Die Zuschauer werden langsam unruhig und beginnen zu tuscheln. Dann plötzlich rührt sich der merkwürdige Mann am Tisch und fängt an, lauthals seinen Sitznachbarn anzusprechen: „Hier zieht es aber! Merken Sie das auch? Hier zieht´s doch!“.
So der Beginn von „Hand aufs Herz“, von und mit Jens Kalkhorst. Es geht um einen Hypochonder, der sich allein in einer Bar mit den Zweifeln an seiner Gesundheit quält. Insgesamt mimt Kalkhorst ein ziemlich hysterisches und aufgedrehtes Exemplar eines eingebildeten Kranken. Bernd, so der Name, ist äußerst aufgeregt und regt sich mächtig auf – über seinen inkompetenten Arzt, aber auch über die Pharmaindustrie und den Welthunger. Und genau da liegt der Unterschied zum üblichen „eingebildeten Kranken“: Wo andere vor Angst ums eigene Wohlergehen völlig durchdrehen, sorgt sich Hypochonder-Bernd auch um viel weitreichendere Probleme.
Neben bloßer Komödie bietet dieses Schauspiel viele gesellschaftskritische Einblicke und lebt eher von seinem kabarettistischen Ansatz, als von plumpen, gesundheitsbezogenen Witzen. Das Bühnenbild ist schlicht gehalten und bietet Jens Kalkhorst alias Bernd genügend Platz für seine Jogging-Einlagen, Hüpfer, Tänze oder sonstiges Rumgehopse.
Kalkhorst als Protagonist und einziger Darsteller des Stücks, kommt bei seiner Fitness -und Gesellschafts-Parodie mächtig ins Schwitzen und liefert den fast 90minütigen Monolog ordentlich und mit viel Heißblut ab. Hut ab vor so viel Eigendisziplin. So innovativ die Kombination aus Monolog, Kabarett und Comedy ist, das Stück an sich ist es nicht.
Lediglich ein sehr starker Jens Kalkhorst mit ordentlich Spaß an dem, was er tut, macht den Besuch lohnenswert. Hypochonder-Bernd ist eben eine Rampensau.
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