„What is love? / Oh baby, don't hurt me / Don't hurt me / No more“ (Haddaway) – denkste.Fernando, zwar Offizier, aber kein Gentleman, kehrt nach Jahren zu seiner Geliebten Stella zurück, lernt im Gasthof eine junge Frau kennen, die bei der einst Verlassenen Gesellschafterin werden soll und mit Mutter angereist ist, die auch vor langen Jahren von ihrem Ehemann verlassen wurde. Wer könnte der verflüchtigte Ehemann wohl sein? Genau, Rosamunde Pilcher hätte es nicht besser konstruieren können, es ist natürlich Fernando, der sich zwischen zwei Frauen wiederfindet. Erstaunlicherweise stammt diese Ménage-à-trois-Konstellation aber von Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe, der dieses Schauspiel mit Schnulzenattitüden in jungen Jahren geschrieben hat und es für seine 2. Uraufführung 1806 in Weimar umschreiben musste, da es den sittlichen Normen seiner Zeit nicht entsprach, ein Dreiecksverhältnis zu tolerieren.

Jetzt haben die lieben Liebenden den Weg ins Theater am Engelsgarten gefunden und Insider fragen sich natürlich schon vor der Premiere, wer wohl sterben muss. Doch Regisseur Stefan Maurer inszeniert Goethes Urfassung mit den bigamistischen Untertönen, die zu verschiedenen idealistischen, aber auch schaurigen Resultaten führen kann. Die kleine Wuppertaler Bühne ist ein einziges Zitat auf die bunte Flower-Power-Pril-Welt der 1970er, als es schick war, in Küchen mit bunten Blumenaufklebern Objekte farbig zu ersticken. Eine lange Tapete, ein paar orangefarbene Campingstühle, ein Tisch und zwei schwarze Treppen rechts und links reichen, um die Spielorte des Schauspiels für Liebende (also nicht Trauerspiel in fünf Akten) anfangs zu generieren, zum Finale hin öffnet sich dann der Raum. Die drei Liebenden prallen aufeinander, Fernando hin- und hergerissen zwischen den Damen Stella und Cäcilie, und dann ist da ja auch noch Lucie, seine Tochter. Er will also Stella wieder verlassen und zurück zu Frau und Kind, Verzweiflung macht sich breit, mittendrin der Wirt des Gasthofs, der kluge Zitate und Empfehlungen serviert.
Maurer inszeniert den „Schinken“ mit der Goetheschen Fragestellung, ob eine Dreierbeziehung als paradiesischer Zustand möglich sein könnte, ziemlich lässig, abwechslungsreich und mit einer schicken Choreografie über die beiden Treppen, so dass der Verlust an konkreten Räumen und die dazu gehörenden Wechsel kaum wahrnehmbar ist. In 90 Minuten Spielfilmlänge erfreut das spielfreudige Ensemble die Zuschauerherzen, die mit Spannung darauf lauern, wie das Dilemma wohl ausgehen wird. Die Regie macht es sich leicht, bezieht keine Position, sondern liefert zahlreiche durchaus amüsante Lösungen zwischen Tabula rasa und Frauen-WG. Immer wieder muss Fernando erschossen darnieder sinken, erschossen sowohl von Frau und Geliebten, mal als Selbstmord („elend durch mich – elend ohne mich! – Ach, noch elender mit mir!“). Stella sinkt tot im Abendrot, denn eigentlich wollte Cäcilie mit Tochter am Ende des Tages ja abreisen und den Ehemann bei der Geliebten lassen, jenseits von der Goetheschen Wunschvorstellung der Urfassung: „eine Wohnung, ein Bett, ein Grab“. Und diese Idee war ursprünglich nicht von ihm.
Stella | WA 17., 18.9., 5., 6., 27.11. | Theater am Engelsgarten, Wuppertal, | 0202 563 76 66
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