„Mitten in der Welt“ hatte Intendant Johan Simons 2018 als neues Motto des Bochumer Schauspielhauses ausgegeben. Seit Januar 2020 lässt sich das auch anders deuten. Mit der Verleihung des Theaterpreises Berlin 2020 an die Schauspielerin Sandra Hüller ist die Ruhrgebietsstadt in die Mitte der Theaterwelt gerückt. Was umso bemerkenswerter ist, als die Stiftung Preußische Seehandlung, den Preis an Personen verleiht, „die sich in besonderer Weise durch ihr Lebenswerk oder herausragende Einzelleistungen um das deutschsprachige Theater verdient gemacht haben“.
Sandra Hüller wurde vor allem für ihre Darstellung des Hamlet in Johann Simons Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus in der vergangenen Spielzeit ausgezeichnet. „Extreme Ernsthaftigkeit und waghalsige Unbedingtheit gehören zu ihrem Spiel genau wie ihr leicht spöttischer, freundlich distanzierter Blick auf die Welt und die Dinge, die sie da tut. Ihr Spiel wird immer einfacher dabei und die Kraft und das Geheimnis dahinter immer größer", heißt es in der Begründung der Jury. Sandra Hüllers Rollenverständnis hat ein Moment des Lapidaren im Wortsinne: kurz, knapp, ohne Pathos, wie Inschriften, die in der Antike in Stein (lat. lapis) gehauen wurden. Eine Nüchternheit, die sich mit einer inneren Distanz sowohl zur Realität wie zu sich selbst verbindet. Ihre emotionalen Ausbrüche finden quasi immer in einem Raum mit trockener Akustik statt. „Hüllers Prinz“, hieß es damals in Trailer zum Bochumer „Hamlet“, „beobachtet die Szenerie ungläubig von außen, bleibt selbst in der Pause auf der Bühne, in der Rolle, beobachtet alle Bewegungen in den Reihen auf der Bühne. Was ist der Mensch – nicht ‚Sein oder nicht sein‘, darüber ist Hamlet längst hinaus. Selbst die Frage nach Lebendigkeit oder Tod hat seine innere Bedeutung verloren“.
Wer zunächst dachte, Sandra Hüller würde dem Bochumer Ensemble nur als Promi-Sahnehäubchen dienen, sieht sich angenehm getäuscht. Sicher, die Schauspielerin hat ihren Lebensmittelpinkt nicht im Ruhrgebiet, aber mit „Hamlet“ und „Hydra“, auch in den Gastspielen von „Penthesilea“ und Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“ prägt sie das Bochumer Schauspielhaus mit. Glückwunsch.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Hunderte gelbe Schuhe auf Pump
„Der Besuch der alten Dame“ in Bochum – Bühne 03/22
Zu etwas Neuem
„New Joy“ am Schauspielhaus Bochum – Tanz an der Ruhr 02/19
Alle sind gleich, manche sind gleicher
Wunsch und Realität bei Stadttheater und Freier Szene – Theater in NRW 06/18
Die eine kommt, die andere geht
In Neuss und Bochum wechseln die Intendantinnen – Theater in NRW 04/18
„Der Kasper hat sich von keiner Autorität unterkriegen lassen“
Fidena-Chefin Annette Dabs zum Jubiläum unter dem Motto „resist“ – Festival 04/18
Übergriffige Brüllaffen
Die MeToo-Debatte erreicht die Bühnen – Theater in NRW 03/18
Breit und hoch zugleich
Olaf Kröck wird neuer Leiter der Ruhrfestspiele – Theater in NRW 12/17
„Bochum ist nicht nur eine Stadt, sondern ein Zustand“
Lucas Gregorowicz über „Sommerfest“, Bochum und seine erste Jugendliebe – Roter Teppich 07/17
Schriller geht‘s nicht
„Monty Python‘s Spamalot“ und „Der Fluch von Königswinter“ auf Kölsch – Musical in NRW 02/16
Staubige Arena statt gruseliger Tunnel
Anselm Weber inszeniert Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ am Bochumer Schauspielhaus – Auftritt 06/15
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Analoge Zukunft?
Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund eröffnet ihren Neubau – Theater in NRW 10/23