Alte Zeiten wurden wieder wach, als es vor der Coronapandemie im Skulpturenpark Walfrieden in den Sommerferien hoch her ging. Klangart hieß das Open-Air-Festival, das bis 2019 zehn Jahre lang Musikfreunde sogar aus dem Ausland anlockte. Von Beginn an hatte es sich überregional herumgesprochen, dass sich Weltstars wie Gitarrist Al Di Meola, Bassist Stanley Clarke oder Pianistin Aki Takase nicht zweimal bitten lassen zu kommen, sich wohl zu fühlen und für umjubelte Konzerte zu sorgen. Damit ist zwar bis auf weiteres Schluss, denn laut Petra Lückerath vom Team des Skulpturenparks gehört solch eine Veranstaltungsreihe nicht zum Kerngeschäft und ist zu teuer. Dennoch gibt es hin und wieder, so wie jetzt, Konzerte. Wie damals reist man sehr zeitig an, um problemlos sein Auto abstellen zu können. Denn schon rund eine Stunde vor Beginn ist Schluss mit lustig: Sämtliche Parkplätze inklusive die Seiten des sich in Serpentinen hochschlängelnden Anfahrtswegs sind proppenvoll. Auf der großen Wiese vor der Villa Waldfrieden angekommen, sind die Sitzgelegenheiten schon reichlich in Beschlag genommen. In weiser Voraussicht haben einige Besucher Decken mitgebracht und machen es sich auf dem Boden gemütlich. Vor dem Getränkestand hat sich bereits eine lange Schlange gebildet.
Arabische und europäische Klänge
Das Transorient Orchestra ist angereist und wartet zunächst rund 15 Minuten, bis fast alle Gäste ihren Platz aufgesucht haben. Nach Betreten der Bühne geht es sofort mit „Gol-e-sayo-Chaman“ los. Abgesehen von kleinen Anmoderationen schließen sich „Zip Zip“, „Ben Seni Serdujum“, „Nihavend Longa“ und „Daskale“ nahtlos an. Die Stücke kommen aus Persien, dem Gebiet um das Schwarze Meer oder aus dem osmanischen Reich, eins ist balkanisch gefärbt. Überwiegend geht es um menschliche Gefühle. In einer traurigen Liebesballade liegt viel Herzschmerz. Eine andere Nummer hat den Abschied eines Menschen, der zum Arbeiten ins Ausland geht, von seiner Familie zum Inhalt: „Gott sei mit dir auf deiner Reise“ wird ihm mit auf den Weg gegeben. Aber auch viel Ausgelassenheit und Freude ist mit dabei, wie sie mitunter in den vier Sätzen „Sabah“, „Anatolia“ „Esfahan“ und „Transorient Express“ der „Transorient Suite“ vorkommen. Auch die Komposition „Saraha“ (übers.: „Ehrlichkeit“) des Bandmitglieds Sahbi Amara ist mit dabei.
Weniger bekannte Instrumente
Neben diesen Musikstilen aus dem Mittleren Osten mit ihren unter anderem pentatonischen Tonräumen und teils vertrackten Rhythmen wird des weiteren ein Ausflug in nordeuropäische Gefilde („Midnight Sun“) gemacht. Auch diese Nummer klingt außereuropäisch, dafür sind die zahlreichen, hier weniger bekannten Instrumente verantwortlich – darunter Oud (Kurzhalslaute), Cura (kleine Langhalslaute), Santur (persisches Hackbrett), Nay (Endkantenflöten ohne Mundstück), Daburka (Kelchtrommel), Bendir (Rahmentrommel). Sie sind genauso Bestandteil des Orchesters wie Geige, Gitarre, Sopran- und Baritonsaxophon, Trompete, Flügelhorn, E-Bass und Schlagzeug. Diese Instrumentenkombination führt zu einer großartigen, vielschichtigen Mischung aus arabischen und europäischen Klängen. Hinzu kommt über weite Strecken ein musikalischer Aufbau, wie er im tradierten Jazz vorkommt: Vorstellung des Themas bzw. der Hauptmelodie plus den sich anschließenden Improvisationen. Abwechslungsreiche Klanggefilde aus dem Osten und westliche Musikstrukturen gehen hier eine kongeniale Symbiose ein.
Kulturelle Vielfalt der Region
Energetisch, dicht und schwungvoll wirken die Darbietungen auch in ruhigen Momenten. Dafür sorgen zwölf bestens disponierte Musiker mit Wurzeln im Orient und Okzident, die ausnahmslos im Ruhrgebiet zu Hause sind und mit ihrer Band die kulturelle Vielfalt der Region vermitteln. Das treibende Schlagzeug, die wirbelnde Perkussion, die groovenden Basstöne, virtuosen Soli und ausdrucksstarken Gesänge harmonieren vorzüglich miteinander. Das Publikum bedankt sich am Ende mit stehenden Ovationen für den kurzweiligen Abend. Als Dank dafür gibt es „Rupert‘s Return“ als schmissige Zugabe.
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