Armin Theophil Wegner, 1886 in Elberfeld geboren und gestorben 1978 in Rom, war ein Pazifist und Schriftsteller, der 1914 in Breslau im Fach Jura promovierte. Sein Leben war bewegt. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg betätigte er sich als Reiseschriftsteller, war als Pazifist 1919 an der Gründung des Bundes der Kriegsdienstgegner beteiligt. Nach er in einem offenen Brief an Adolf Hitler im April 1933 gegen die Judenverfolgungen protestierte und vor den Folgen warnte, wurde der Ehemann der jüdischen Schriftstellerin Lola Landau für vier Monate von der Gestapo inhaftiert, in Gefängnissen und Konzentrationslagern gefoltert. Bach seiner Entlassung Ende August desselben Jahres emigrierte er über Großbritannien und Palästina nach Italien, wo er ab 1936 lebte. Dort war er zwischen 1941 und 1943 Lehrer für deutsche Sprache und Literatur und anschließend als freier Schriftsteller tätig. Er wurde unter anderem 1956 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und sechs Jahre später dem Eduard-von-der-Heydt-Preis Wuppertals ausgezeichnet.
Augenzeuge des Grauens
Der Erste Weltkrieg war für Wegner einschneidend. Denn er war ab 1915 im Osmanischen Reich stationiert und war Augenzeuge der Vertreibung und des Völkermords der Türken an den Armeniern. Er hielt diese Vorgänge literarisch und zudem fotografisch als Beweis für den Genozid fest. Seine Interventionen bei der Deutschen Regierung und dem damaligen Präsidenten der USA, Woodrow Wilson, trugen keine Früchte. Diese Erlebnisse ließen ihn nicht mehr los, begleiteten ihn Zeit seines Lebens. Im hohen Alter schrieb er darüber das Epos „Das Armenische Totenlied“ mit dem Untertitel „Flucht und Leiden des Knaben Mihran Hamparzun oder der Untergang eines Volkes in der Syrischen Wüste“. Es wurde posthum 2020 in dem Buch „Aghet: Totenklage und Gedächtnis des Schreckens, Türken und Armenier 1915“ veröffentlicht. Dieses Werk stellt nun die in Wuppertal ansässige Internationale Armin T. Wegner Gesellschaft im soziokulturellen Ort Insel vor.
Die einzelnen Kapitel heißen Altarbilder, woraus Ulrich Klahn, Vorsitzender des Vereins, einige Passagen klar im Ausdruck rezitiert. Er liest etwa die Geschichte vor, wie der Junge Mihran und seine Brüder miterleben, wie ihr Vater am Richtplatz vor seiner Hinrichtung, bereits den Strick um den Hals, am Galgen anfängt zu singen. Ein gewaltsamer Kurdenhäuptling kommt vor, der mit Kugel und Peitsche regiert und Männer dem Blutgericht zum Opfer fallen. Oder Mädchen werden nackt in der Wüste Mesopotamiens gedemütigt, die sich letztendlich gemeinsam in den Tigris stürzen.
Stille im Publikum
Dazu passend sind die fünf Abschnitte des Werks „Armenische Totenlieder“ des 1965 geborenen Komponisten Volker Felgenhauer eingebettet, nach Gedichten von Armin T. Wegner, in einer Überarbeitung vom Trio Cascades. Die Sätze dieses Opus 17 lauten: Epitaph – Blutgericht („Die kurdischen Hirten …“) – Gesang des zum Galgen Verurteilten („Die Schlinge hatten sie Hamparzum bereits um den Hals gelegt …“) – Todesreigen armenischer Mädchen („In die Luft springend …“) – Epitaph. Diese detaillierte Kammermusik mit klagenden Melodien intonieren Katrina Schulz (Violine), Alexander Mrowka (Violoncello) und Wolfgang Peternell (Klavier) intensiv mit großen musikalischen Spannungsbögen. Eingerahmt ist die Veranstaltung mit Musik aus der Feder des armenischen Priesters und Musikers Komitas Vardapet (1869-1935). Zu Beginn spielt das Trio den Angang des Stücks „Andouni“ (Heimatlos), zum Schluss „Krunk“ (Der Kranich). Beide gehören mit zu seinen bekanntesten Liedern, die in einer instrumentalen Fassung zu Gehör kommen.
Während der Darbietungen ist es im Auditorium mucksmäuschenstill. Schließlich bedankt man sich bei Klahn und dem Trio Cascades für den ergreifenden Abend mit lang anhaltendem Beifall.
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