engels: Frau Lukoschat, wie stehen Sie zur Frauenquote?
Helga Lukoschat: Eine Frauenquote in den Parteien halte ich für ganz wichtig. Sie ist eine Voraussetzung dafür, damit wir insgesamt vorankommen. Das zeigen auch die Erfahrungen der Parteien in Deutschland, die eine Frauenquote haben: Bündnis’90/Die Grünen, SPD und Linke. Quoten als verbindliche Regelungen erhöhen einfach enorm die Chancen von Frauen auf Listenplätze und auch auf entsprechende Ämter und Mandate. Wir sollten die Quote allerdings nicht isoliert diskutieren, sondern auch im Auge behalten, welche begleitenden Maßnahmen notwendig sind, um Partei- und Parlamentsarbeit tatsächlich attraktiver zu gestalten. In diesem Kontext sind natürlich auch die Männer gefragt, denn es betrifft gleichwohl die Parteikulturen.
„Eine Entscheidung allein aufgrund des Geschlechts – das ist ein ganz falscher Blick“
Häufig kommt der Vorwurf, durch Frauenquoten fiele die Wahl auf weniger qualifizierte Personen, weil nur nach Geschlecht entschieden würde.
Das halte ich für kein stichhaltiges Argument. Aus der Empirie ist bekannt, dass es genügend qualifizierte Frauen – auch in den Parteien – gibt. Es ist immer eine Kombination aus verschiedenen Merkmalen, die jemand für ein solches Amt mitbringen muss. Eine Entscheidung allein aufgrund des Geschlechts – das ist ein ganz falscher Blick. Es geht vielmehr darum, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts keine Benachteiligungen mehr erfahren, und dass diese eingefahrenen Muster – wen die Parteien rekrutieren, wen sie nominieren, wer wirklich aufsteigen kann – hinterfragt und Frauen die gleichen Chancen verschafft werden.
Was könnte eine sinnvolle Vergabe-Strategie sein, bezogen auf Wahllisten und Direktmandate?
Hierzu sind die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern aufschlussreich. Skandinavien, das seit langem Spitzenreiter beim Anteil von Frauen in der Politik ist aber auch Länder wie Frankreich, Spanien oder Belgien, die gesetzliche Quoten- bzw. Paritätsgesetze haben. Wirklich sinnvoll und effektiv ist eine wechselnde Besetzung von Frauen und Männern auf den Wahllisten, alternierend, das sogenannte Reißverschlussprinzip. Dass man nicht nur sagt „Wir wollen mindestens die Hälfte der Plätze für Frauen haben“ – denn dafür gibt's Umgehungsstrategien. Plötzlich landen die Frauen auf den hinteren Plätzen und gelangen nicht mehr ins Parlament. Durch das Reißverschlussprinzip wird das vermieden. Wichtig ist natürlich auch, an wen Platz 1 der Liste geht. Bei den Grünen ist dieser Platz im Prinzip einer Frau vorbehalten, auch wenn es immer wieder einmal eine Ausnahme gibt. Vor dem Hintergrund, dass Frauen so lange in der Politik unterrepräsentiert waren, ist das ein starkes Zeichen! In den Wahlkreisen ist es ein bisschen komplizierter, denn da gibt es keine Liste, die sichquotierenlässt, sondern es geht um ein Mandat. Man müsste hier gezielt im Vorfeld schauen, wo Parteien aussichtsreiche Frauen haben,wensie schon einmal für bestimmte Wahlkreise aufbauen können. Dass man dabei als Landesvorstand auch mithilft, wäre zukünftig sehr sinnvoll. Denn die Orts- und Kreisverbände haben bisher darin eine relative Autonomie. Hauptsächlich werden die Wahlkreise von CDU und SPD gewonnen, aber zunehmend auch von den Grünen. Davon in der Diskussion unbenommen ist die Frage gesetzlicher Regelungen, wie der eines Paritätsgesetzes. Ein Vorschlag besteht darin, die Anzahl der Wahlkreise zu halbieren und ein Tandem aus jeweils einer Frau und einem Mann aufzustellen. Das Tandem ist inspiriert von Verfahren für die Regionalwahlen, die wir aus dem Paritätsgesetz in Frankreich kennen. Dabei wählt man ein Doppelpack. Beim Duo-Modell hingegen hat der oder die Wählerin drei Stimmen: eine Stimme für die Liste, also für die Partei, dann eine Stimme für den Frauenplatz und eine Stimme für den Männerplatz. Damit kann man auch Personen aus verschiedenen Parteien wählen. Auch für nicht-binäre Personen gibt’s Lösungen – sowohl für die Wahlliste als auch die Wahlkreise. Für die Listen stehen verschiedene Modelle zur Auswahl. Im Thüringer Paritätsgesetz war vorgesehen, dass nicht-binäre Personen auf jedem Platz kandidieren dürfen. Dann muss aber, wenn vorher eine Frau auf der Liste stand, wieder ein Mann kommen und vice versa. In Brandenburg muss sich die Person bei der Wahlversammlung – also, wenn die Listenplätze besetzt werden – entscheiden, ob sie auf der Männer- oder auf Frauenliste kandidiert und wird dann einfach eingefädelt. Allerdings ist die verfassungsrechtliche Debatte um Paritätsgesetze reichlich schwierig, denn beide Gesetze wurden von den jeweiligen Verfassungsgerichtshöfen für nichtig erklärt. Hier ist noch sehr viel gesellschaftliche und juristische Auseinandersetzung erforderlich, siehe auch den jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dazu.
„Die Vereinbarkeit von Familie mit Beruf und einem politischen Ehrenamt bleibt eine große Herausforderung“
Wie selbstverständlich lässt sich in der Politik Frau sein?
Politik ist nach wie vor männlich geprägt. In allen Parteien sind Männer deutlich in der Mehrheit. Die Grünen sind die einzige Partei mit einem Frauenanteil von 41 Prozent. Ansonsten bleibt es darunter: In der CDU sind es um die 25 Prozent, bei der AfD – der am stärksten männlich geprägten Partei – liegt der Anteil bei lediglich 15 Prozent. Doch es geht auch um die Parteikulturen, um die Kommunikations- und Umgangsformen, die männlich geprägt sind und wie Politik organisiert ist. Dazu einmal ein handfestes Beispiel aus der Kommunalpolitik: Da werden die Sitzungszeiten z.B. daran orientiert, wann der Bürgermeister oder der Fraktionsvorsitzende sein Fußballtraining hat, aber nicht an den Bedürfnissen von Menschen mit Familie. Die Vereinbarkeit von Familie mit Beruf und einem politischen Ehrenamt bleibt eine große Herausforderung. Wir haben in unseren Studien auch festgestellt, dass vieles informell entschieden wird, hinterher bei den berühmten Kneipenbesuchen. Zwar sind diese Verhaltensweisen nicht bewusst frauenausschließend, aber de facto wirken sie sich so aus. Also das Thema Netzwerke: Männer tun sich damit wirklich leichter, das geht hin bis zu Seilschaften. Sie wissen, wenn ich mich als jüngerer Mann gegenüber einem erfahrenen bzw. mächtigen Mann loyal verhalte und mich quasi dranhänge, wird dieser mich schon mitziehen und nach oben bringen. Frauen müssen sich also in die männlichen Netzwerke einfädeln und sich den Umgangsformen anpassen, was viele nicht wollen oder können. Daher ist es Frauen innerhalb der Partei wichtig, eigene, machtvolle Netzwerke aufzubauen, bewusst daran zu arbeiten. Aber auch parteiübergreifende Netzwerke sind notwendig, genauso wie die Unterstützung aus der weiblichen Zivilgesellschaft, um eben langfristig an Einfluss und Macht zu gewinnen.
„In Finnland wurde bereits vor Jahren der Begriff einer ‚feministischen Außenpolitik‘ geprägt“
Was gelingt den Skandinaviern, was wir noch nicht hinbekommen?
Die skandinavischen Länder sind insgesamt viel stärker als unser Land von einer Kultur der Gleichberechtigung gekennzeichnet. Sie sind wirklich etliche Schritte weiter. Finnland war nicht umsonst das erste Land, welches das Frauenwahlrecht eingeführt hat. Interessant ist, dass sie gar kein Paritätsgesetz haben wie Spanien oder Frankreich, sondern dass die Parteien schon seit Anfang der 80er Jahre interne Quoten festgelegt und auch die konservativen Parteien nachgezogen haben. Das hat sich flächendeckend durchgesetzt: Man kann es sich nicht mehr leisten, in männlich dominierten Formationen aufzutreten. Das hat natürlich weitere positive Effekte. Sitzungskulturen verändern sich: Es wird zeitsparender diskutiert, gibt gute Moderationen und Ähnliches mehr. Wenn Frauen in der Politik annähernd gleichberechtigt vertreten sind, wird auch das Thema Gleichstellungspolitik an sich ernster genommen, wie entsprechende Studien belegen. Dieser berühmte Spruch von Schröder damals über das „Gedöns”, würde man in skandinavischen Ländern niemals hören. Dazu ein Beispiel: In Finnland wurde bereits vor Jahren der Begriff einer „feministischen Außenpolitik“ geprägt – sprich bei allen Maßnahmen und Aktivitäten, eben auch in der Außenpolitik, sich für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen. In Deutschland steht er erst jetzt im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Ein finnischer Botschafter sagte mal: „Es ist einfach smart, Politik so zu machen“. Wir hinken da in Deutschland immer ein bisschen hinterher. Ich bin daher jetzt auch sehr gespannt, wie Annalena Baerbock ihren Anspruch dahingehend umsetzen wird.
FRAU ALLEIN - Aktiv im Thema
frauen-macht-politik.de | Das Helene-Weber-Kolleg setzt sich für eine höhere Repräsentanz von Frauen in der Politik ein und unterstützt Kommunalpolitikerinnen.
politfix.de | Das Projekt Politfix des Bundesverbandes Interkultureller Frauen in Deutschland fördert die Teilhabe von Frauen mit internationaler Geschichte in der Kommunalpolitik.
brandnewbundestag.de | Die überparteiliche Initiative Brand New Bundestag fördert die Kandidatur junger Kandidaten und möchte mehr Diversität in den Parlamenten schaffen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Debakel von Delphi
Intro – Frau Allein
Die hormonelle Norm
Zu den Herausforderungen des weiblichen Führungsanspruchs – Teil 1: Leitartikel
Angst-Räume beseitigen
Die Wuppertaler Stabsstelle für Gleichstellung und Antidiskriminierung – Teil 1: Lokale Initiativen
Mensch ist nicht gleich Mann
Gendermedizinisch forschen und behandeln – Teil 2: Leitartikel
„Nicht bei zwei Geschlechtern stehen bleiben“
Gesundheitsexpertin Anke-Christine Saß über Gendermedizin – Teil 2: Interview
Gendern rettet Leben
Neue Professur für geschlechtersensible Medizin an der Bielefelder Universität – Teil 2: Lokale Initiativen
Eine Klasse für sich
Ein Feminismus, der sich allein auf Vorstandsposten kapriziert, übt Verrat an Frauen – Teil 3: Leitartikel
„Sorgearbeit wird zum Nulltarif in Anspruch genommen“
Soziologin Uta Meier-Gräwe über Haus- und Erwerbsarbeit von Frauen – Teil 3: Interview
Ein Tabu zu viel
Paula e.V. Köln berät Frauen ab 60 Jahren, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind – Teil 3: Lokale Initiativen
Vor dem Arzt sind alle gleich
Gleichberechtigung in der GesundheitsversorgungDie Macht der Filme – Europa-Vorbild: Malta
Äff den Mann nach
Zur Gleichberechtigung in kleinsten Schritten – Glosse
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 1: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
„Früher war Einkaufen ein sozialer Anlass“
Teil 2: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 3: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 1: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 2: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 3: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 1: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 2: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 3: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 1: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 2: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 3: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
„Eltern haben das Gefühl, sie müssten Buddhas werden“
Teil 1: Interview – Familienberaterin Nina Trepp über das Vermeiden von psychischer Gewalt in der Erziehung
„Es liegt nicht am Gesetz, Kriminalität zu verhindern“
Teil 2: Interview – Kriminologe Dirk Baier über Gewaltkriminalität und Statistik