Wer den diesjährigen noch virusfreien Rundgang durch die Kunstakademie in Düsseldorf verpasst hat, kann sich in Solingen zumindest einen Überblick über die Studenten und Absolventen verschaffen, die gerne den mit 5.000 Euro dotierten Bergischen Kunstpreis erringen wollten, mit Mund- und Nasenschutz jetzt natürlich, was zumindest im Februar an der Akademie viel Geschmack verhindert hätte. Zum 74. Mal wird die jurierte Internationale Bergische Kunstausstellung im Solinger Kunstmuseum aufgebaut mit Bezug zur Region des Bergischen Landes, wobei man geschickt die rheinische Landeshauptstadt dazu zählt, was dazu führt, dass der überwiegende Teil der Künstler dort studiert oder mal hat. Honi soit qui mal y pense.
Der Kunst ist das eh egal, sie durchzieht die Räumlichkeiten mit ihrem eigentümlichen Flair aus frischem Staunen oder gelangweiltem Wiedererkennen altbekannter Positionen, das weltweite Internet ist voller artifizieller Maquetten, die nur darauf warten endlich auch im Mittelformat wirken zu können. Über 50 Jahre ist es her, dass ein junger Maler, der später auch eine besondere Klasse in der Landeshauptstadt leitete, „Hört auf zu malen“ auf eine Leinwand pinselte und den radikalen Dilettantismus propagierte. Erstaunlicherweise hat in diesem Jahr ein Maler das goldene Säckchen in Solingen erbeutet, mit einer Arbeit („dancing clown“, Öl auf Leinwand, 2019), die mein Bauchgefühl stark an die wilden 1980er denken ließ, und das meine ich bei Max Pimpernelli alias Max Hölter nicht abwertend im Zeitalter von voranschreitender technifizierter Kopfkunst.
Betreten wir die heiligen Hallen, vorbei an einer Installation („work/depress disappearing artist“, 2020) aus 16 Airbags verunfallter Pkws, die in einer Stellage an die Körperform des Künstlers Moritz Riesenbeck angepasst wurden und ihn – innen stehend – als Maschine zum Verschwinden zerdrücken sollen (gibt natürlich nur eine Animation). Nutzbar dagegen ist der Isolationstank von Till Bödeker ein kleines Stück weiter. Floating heißt das Zauberwort beim aktuellen Wellness-Trend, der im Museum pandemiebedingt nicht erfahrbar gemacht werden kann, obwohl wer hätte schon die Badehose dabei? Bödeker performt also während bestimmter Zeiten selbst, ansonsten steht der selbstgebaute Tank als Bildhauer-Objekt im Raum, ein Tatbestand, der auch seine Düsseldorfer Professorin Rita McBride zitiert.
Über 200 Bewerbungen hat es in diesem Jahr für die Ausstellung gegeben. Daraus hat die sechsköpfige Jury insgesamt 16 Künstler ausgewählt, die nun ihre neuesten Arbeiten im Kunstmuseum zeigen dürfen, immer mit der Hoffnung vielleicht doch noch einen der drei Publikumspreise zu ergattern, am Ende aber wenigstens ganz sicher in einem schönen Katalog verewigt worden sind. Dort findet man auch die scheinbar unspektakuläre Arbeit von Petra Deta Weidemann abgebildet, obwohl dies dem Wesen ihrer Objekte völlig wiederspricht. Die Zweidimensionalität ist bei der auch ausgestellten Arbeit „Irgendwo auf dem Dach“ (Beton und Schnur, 2019) in der Realität des Raumes nämlich nur die frontale Oberfläche aus Substanz und Linie, die nicht nur das aufgelöste immense Gewicht, sondern auch das haptische Moment durch maximale Sparsamkeit verbirgt.
74. Internationale Bergische Kunstausstellung | bis 1.11. | Kunstmuseum Solingen | 0212 25 81 40
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