Wenn man locker mit Oscar Wildes Postulat, nur durch Kunst entgingen wir den grauenhaften Gefahren des Alltags, umgeht, dann machen künstlerische Positionen Sinn für die Zukunft. Vielleicht würden Artistic Days for Future helfen, doch ich bin nicht sicher, ob das alte Europa tatsächlich noch zinslos zu retten ist. In Solingen jedenfalls vergeben Banken immer noch Kunstpreise, die Künstler magisch anziehen und dem städtischen Kunstmuseum, das als europäischer Solitär ein Zentrum für verfolgte Künste ist, immer eine zumindest interessante Ausstellung ermöglichen.
Gewonnen hat die 5.000 Euro in diesem Jahr die in Dortmund lebende Künstlerin Silke Schönfeld mit einem technisch unaufgeregten Video-Diptychon, das vordergründig eine Lehrerin beim Korrigieren im Klassenzimmer zeigt. „kommt und guck selber“ (Zweikanal-Videoinstallation, 14:40 Minuten) zeigt, wie die stoisch einen Aufsatz korrigiert, ohne auf den Inhalt zu achten. Dabei handelt es sich beim Text um die Untertitel eines IS-Propaganda-Videos und so würden formale Normen über Inhalte gestellt und kritische Reflexion verhindert – für die Jury ein klares gesellschaftspolitisches Statement für die Aernout-Mik-Schülerin.
Aber die 73. Internationale Bergische Kunstausstellung, die traditionell unter keinem vorgegebenen Motto steht, gibt einen Einblick in das vielfältige Kunstschaffen der Region und zeigt noch 15 weitere Künstler, die aus weit über 200 Bewerbungen gefiltert wurden und die sich jetzt noch Hoffnungen auf den Publikumspreis machen dürfen.
Traditionell geht es los beim Ritt durch die zwei Etagen des Solinger Museums. Natur-Skulpturen aus Keramik, Bronze oder Messing von der Österreicherin Johanna Honisch, die beim alten neuen Wilden Herbert Brandl an der Akademie in Düsseldorf studiert hat, wie auffällig viele der ausgesuchten KünstlerInnen. Der Akanthus-Goldklumpen (Gips, Messing, 2018) an der Decken-Ecke lässt jedenfalls viele Assoziationen offen. Einen schönen Kontrast dazu bilden die inszenierten Fotografien von Barbara Schmidt, die kleine Fundstücke zu surrealen Landschaften arrangiert. Der pechschwarze Hintergrund kontrastiert brutal die pastellenen, monsterverspielten Objekte, die vereinzelt auf verschiedenen Fotografien wieder auftauchen.
Der Wuppertaler David Semper, der in Stuttgart und Karlsruhe studiert hat, greift direkt in die vorhandenen Räumlichkeiten ein. Schon fast artifiziell lyrisch ist sein „Fresco“ (2011) bei dem ein blaues Stempelkissen in die Wand eingesetzt, verputzt und überstrichen wird. Im Laufe der Ausstellung sickert die Farbe als Prozess unkontrolliert durch die Oberfläche. Sehr schön auch seine seriellen, abgeschliffenen Holzlineale. Das Spektakulum der Kunstausstellung findet eine Etage tiefer statt. Das Luxemburger Multitalent Émile V. Schlesser, auch bekannt als Filmemacher, hat in Solingen eine Kanoneninstallation aufgebaut, die zumindest für ein paar Minuten den Puls beschleunigt. Denn aus acht Röhren könnte es theoretisch knallen, wie die Zeitschaltuhren suggerieren, doch die Hälfte von „Canons“ (2019) ist offensichtlich schon leer, das goldene Konfetti durch Raum und Museum verteilt. Der Zufallsgenerator hatte kein Einsehen, doch das mulmige Gefühl bleibt die ganze Zeit. Sehr schön unangenehm.
73. Internationale Bergische Kunstausstellung | bis 27.10. | Kunstmuseum Solingen | 0212 25 81 40
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