In diesen Wochen herrscht dichtes Gedränge in den Einkaufsstraßenschluchten zwischen Dortmund und Duisburg. Die Wirtschaft boomt wieder, und wer einen Arbeitsplatz hat, gibt sein Weihnachtsgeld aus. Auch die Kinder werden bedacht. Das englische Wort für Weihnachten kann, leicht verfremdet ins Deutsche übertragen, die Situation trefflich beschreiben: Christmast!
Die Erhöhung von Hartz IV um fünf Euro – für die Betroffenen ein Hohn
Aber nicht alle Menschen nehmen teil an diesem Mastbetrieb. Das Weihnachtsgedicht von Erich Kästner „Morgen Kinder, wird’s nichts geben“, in dem der Satiriker 1928 die Kluft zwischen Arm und Reich beschrieb, bleibt hochaktuell. Etwa jedes vierte Kind in Deutschland lebt in Armut. Und die Situation wird sich weiter verschärfen. Die Bundesregierung erhöht zwar ab dem kommenden Jahr die Hartz IV-Sätze um fünf Euro. Opposition und Wohlfahrtsverbände sprechen aber davon, dass die Betroffenen mit dem Betrag verhöhnt werden. Publikumswirksam wurde seitens der Regierung klargestellt, dass in dem Regelsatz nun nicht mehr Kosten für Alkohol und Nikotin enthalten sind, dafür aber die eines Internetanschlusses. Davon, dass bei der Errechnung des Satzes für Kinder unter sechs Jahren von einem Bedarf von zwei Euro täglich für Lebensmittel ausgegangen wird, wurde nicht so oft berichtet. Eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund geht von einem Betrag von sechs Euro für ein gesundes Aufwachsen aus. Hartz IV, so erklärt die Regierung, dürfe allerdings nicht noch mehr erhöht werden, weil sonst der Abstand zu den unteren Lohngruppen zu niedrig sei und somit kein Anreiz für die Bezieher von Sozialleistungen mehr bestehe, sich um Arbeit zu bemühen. Dass inzwischen viele Vollzeitarbeitende mit Kindern Anspruch auf die staatliche Unterstützung haben, weil deren Lohn nicht zum Leben ausreicht, wird bei dieser Argumentation geflissentlich übersehen. Übersehen wird auch, und das ist tragisch, dass die Kinder von Hartz IV-Empfängern quasi in Sippenhaft genommen werden. Die Kinder tragen die Konsequenzen, wenn die Eltern auf dem Arbeitsmarkt scheitern. Die Vererbbarkeit von Armut ist so gewährleistet.
Dagegen plant die Bundesregierung, die gerade die Zahlung von Elterngeld an Hartz IV-Empfänger abgeschafft hat, ein Bildungspaket. 100 Euro zusätzlich bekommt jedes bedürftige Kind jährlich zur Anschaffung von Schulbedarf. Weitere 120 Euro pro Jahr sind vorgesehen, um eine „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben“ zu ermöglichen. Arbeitsministerin von der Leyen möchte eine Chipkarte einführen, um zu gewährleisten, dass das Geld für den Geigenunterricht nicht doch wieder für Nikotin und Alkohol ausgegeben wird. Jeder Turnverein und jeder Blockflötenlehrer bräuchten dann ein spezielles Kartenlesegerät. Letztlich suggerieren die Gedankenspiele aus Berlin, dass diejenigen, die auf Stütze angewiesen sind, ihre Kinder vernachlässigen. Auch gehen diese Pläne von einem sehr bürgerlichen Verständnis von „sozialem und kulturellem Leben“ aus. Die „Taximamis“ in den Bungalowsiedlungen fahren ihre Sprösslinge zur Ballettstunde und zum Eishockeytraining. Das Gros der Kinder von Hartz IV-Empfängern nutzt indes eher Angebote in Kindertageseinrichtungen und Jugendzentren. Eine unmittelbare Unterstützung dieser Einrichtungen käme direkt bei den bedürftigen Kindern an. Auch werden in Kinder- und Jugendeinrichtungen Projekte angeboten, die der kulturellen Lebenswelt der Besucher entsprechen. Viele Kinder begeistern sich eher für Street-Dance als für Ausdruckstanz, eher für Graffiti als für Seidenmalerei und eher für Rap als für Beethoven. Bei kinder- und jugendkulturellen Einrichtungen aber wird wegen der klammen kommunalen Kassen weiter der Rotstift angesetzt.
Der Kinderschutzbund fordert eine Grundsicherung für Kinder von 502 Euro
Eine echte Hilfe für Kinder, so erklärt der Deutsche Kinderschutzbund, wäre eine einkommensunabhängige Grundsicherung von Kindern in Höhe von monatlich 502 Euro. Diese solle zwar keine Abzüge von anderen Sozialleistungen erwirken, allerdings voll versteuert werden. Das würde bedeuten, dass sich dieser Betrag bei steigendem Einkommen verringern würde, Kindern von Geringverdienern aber voll zu Gute käme. Diese Regelung würde die derzeitige staatliche finanzielle Förderung von Kindern vom Kopf auf die Füße stellen. Zurzeit profitieren wohlhabende, verheiratete Eltern von den steuerlich wirksamen Kinderfreibeträgen, vom Ehegattensplitting und vom Kindergeld, während Hartz IV-Bezieher das Kindergeld von ihren staatlichen Zuwendungen abgezogen bekommen und auch kein Erziehungsgeld erhalten. Die Mehrkosten für die Kindergrundsicherung könne laut Kinderschutzbund durch ein moderates Anheben der Vermögens- und Erbschaftssteuer und durch den mit der Pauschalauszahlung einhergehenden Bürokratieabbau finanziert werden. Es wäre doch gar nicht schlecht, wenn alle gemeinsam singen könnten: „Morgen Kinder, wird’s was geben“.
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