Der Globus war nie rot. Glücklicherweise muss man sagen, denn was die Erben der kommunistischen Ideen des 19. Jahrhunderts aus ihnen gemacht haben, war in der Lage den Planeten rot zu färben. Rot von Blut. Im Wuppertaler Theater am Engelsgarten gedenkt man nun den Urhebern einer revolutionären Vision, die bis heute nie zuende gedacht werden konnte. Das Kapital war eben immer etwas flinker. Dabei entstand vieles nur, weil der Wuppertaler Kapitalist Friedrich Engels den theoretischen Überbau maßgeblich finanzierte. Thomas Braus ist in Wuppertal dieser Friedrich Engels. Fabrikantensohn, der in jungen Jahren viel liest und so an den revolutionären Ideen seiner Zeit wächst, vom Hegelianer zum Marxisten wird, aber später trotz des sozialistischen Überbaus nie das Dolce Vita vergisst oder ihm abschwört.
In seiner Heimatstadt jedenfalls ist die ganze Papp-Welt auf der Bühne rot gefärbt. Ein gestürzter Marxscher Denkmalkopf dient manchmal als Sitzgelegenheit, dennoch steht die Aktie des deutschen Kapitalismus-Kritikers auf einem 150-Jahres-Hoch, so jedenfalls die New York Times, so auch Michael Wallner in seiner dramatischen Collage. Eine interessante Weillsche Soundspur begleitet den schnellen Abend, Texte vom ersten revolutionären Dichter Georg Ludwig Weerth (1822-1856), der in Havanna/Kuba wenigstens eine Gedenktafel besitzt, von Feuerbach und Hegel. Tja, die „Friends“ waren illustre, aber die historischen Dimensionen waren damals natürlich noch nicht absehbar. Aber das Leben rockte für Friedrich in Deutschland. Die Fabriken im Bergischen liefen großartig, wie auch die väterlichen Apanagen nach Berlin. Schampus und Weiber waren genug vorhanden, Sekt in der Hand, Geld in der Tasche, Sozialismus im Hirn, wollten wir nicht alle mal Revoluzzer sein? Dann endlich Revolution in Deutschland. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“, und der Geist weht auch durch Elberfeld und Barmen. Engels mittendrin, einziger Unterschied zu den Toten von 1848/49. Der Fabrikantensohn kann immer bequem flüchten, erst in die Pfalz, dann nach London.
Aber die Familie stört sein aufmüpfiges Eintreten für diese neuen Ideen im Staat. Engels muss nach Manchester. Regisseur Michael Wallner choreografiert seine Protagonisten geschickt durch das Innere der Pappkartonage von Heinz Hauser. Alle, bis auf Thomas Braus, haben mehrere Figuren zu spielen, insbesondere Stefan Walz muss ausgerechnet zwischen dem erzkonservativen Vater und Karl Marx switchen, aber das ist natürlich kein Problem für den Hünen mit Knieschonern unter dem Mantel. Mit Licht und Nebel geht es rund in Manchesters Ausbeuterfabriken. Wo, wenn nicht hier könnte der Zündfunke für die revolutionären Ideen eines Karl Marx brennen? Engels wird mit den tatsächlichen Verhältnissen konfrontiert, zwei Jahrzehnte macht er hier den Spinnweberei-Unternehmer. O.k., er unterstützt Karl Marx und dessen Familie, aber vom internationalen Sozialismus sind sie tatsächlich noch Universen entfernt. Und viel verändert hat der junge Schnösel im britischen Hades der Moderne ja wohl auch nicht.
Hier beginnt die Inszenierung etwas zu wackeln. Gott ist tot, der Mensch ist frei? Zu sehr drängen nun die biografischen Anekdoten an die Oberfläche, zu viel Schlagschatten auf Vergangenheit und Zukunft, den theoretischen Modellen und Formulierungskämpfen kann der Theaterbesucher ja doch kaum folgen. Engels ist cool? Weil er zwölf Sprachen spricht? Weil die Mittelschicht immer noch abgehängt wird? Was kommen wird, ist globalisierter Kapitalismus gepaart mit pseudorevolutionärem Terrorismus. Ja, der Engels, der schwappt immer noch bei Eastbourne aus der Nordsee, aber seine Ururenkel haben heute hoch dotierte Bundestagsmandate. Da trifft sich die sozialistische Besitzstandsschickeria ja wieder. Die Klasse der Nichtbesitzenden schaut weiter in die Glotze. Eine Wuppertaler Revue, die eigentlich keine sein will, geht zu Ende. Mit Applaus. Und das haben die Macher und alle Schauspieler auch verdient. Und – es ist in der heutigen Zeit auch ein sinnvoller Abend.
„Engels & Friends“ | Sa 31.10., Mi 4.11. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66
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