Ich bin wohl mal wieder durch eine falsche Tür gelaufen. Diesmal in die Ausstellung „Utopie und Untergang. Kunst in der DDR“ im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, und so muss „Der rote Stier“ (Öl auf Leinwand, 1945-61) von der Käthe-Kollwitz-Meisterschülerin Elisabeth Voigt (1893-1977) noch etwas warten. Die war ja auch schon im Dritten Reich be- und anerkannt und hat nahtlos den Übergang in das nächste repressive Staatssystem geschafft. Darin fühlten sich auch nur die sogenannten Staatskünstler wohl, die anderen, die ihre Leinwand und Farbe unter den Betten lagern mussten, nun eine Chance auf die documenta 6 von Manfred Schneckenburger zu kommen, hatten sie natürlich nicht. Kein Wunder, dass Georg Baselitz, A. R. Penck, Markus Lüpertz und Gerhard Richter damals einen Tag vor der Eröffnung ihre Bilder wieder abgehängt haben, wollten sie doch nicht den sogenannten „prüden sozialistischen Realismus“ von Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke adeln. Die vier hängen selbstverständlich wieder in Düsseldorf, auch zusammen mit den beiden bekanntesten Kunst-Dissidenten A. R. Penck und Cornelia Schleime, deren „Berufsverbote“ auch vom langjährigen Präsidenten des Verbandes Bildender Künstler der DDR (Willi Sitte) mitgetragen wurden, und da hilft auch kein Aufruf zur Beilegung des „Bilderstreits“ von Kurator Steffen Krautzig. Denn in seiner Auswahl hängen fast auch nur die allbekannten Ikonen des westdeutschen Kunstmarkts.
Ohne Zorn zurück zur „falschen“ Tür und zu Cornelia Schleime, deren Arbeiten meinen ersten Blick in die Ausstellung darstellen. Ihre halbdokumentarischen Körpermalaktionen (1981) und Selbstinszenierung in Hüpstedt (1982) hängen da, genau wie ihre fotografischen Portraits der Person, die sie nach Aktenlage der Stasi-Spitzel wohl gewesen sein soll: eine Asoziale, die ihr Geld wohl mit Prostitution verdient und die in einer „notdürftigen“ Wohnung lebt. Die Serie „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85“ karikiert diese Aktenblätter süffisant und boshaft, saß doch der Spitzel wohl in ihrem engsten Freundeskreis. An Werner Tübke (1929-2004) schlendere ich mal so vorbei, ein klasse Maler, wie alle „akademisch ausgebildeten“ malenden Künstler in der DDR, seine Sujets scheinen immer eine Art historischen Funken zu besitzen und das Auffinden von fast versteckten Aspekten hat manchmal was von Hieronymus. Voll krass ist der Kontrast zu Angela Hampel, wilde Bilder im Kunstmarkt-Kaufrausch-Duktus der westlichen 1980er, auch ein Beweis, dass künstlerische Zeitgenössischkeit locker Mauern und Stacheldrähte überwand. Am bekanntesten wohl ihre neoexpressionistische Medea von 1985 nach Christa Wolf.
Es folgt viel akademisches Fleisch von Willy Sitte (1921-2013), gepaart mit Arbeiterschaft und fast um Erklärung bemühte Titel, während A. R. Pencks Acryl auf Leinwand „Frag die Giraffe, ob sie brennt“ von 1975 schon mehr Esprit versprüht. Seine deutschdeutsche brennende Brückenikone „Der Übergang“ (1963) ist dankenswerterweise auch zu sehen. Bleibt noch mein Lieblingsbild der Ausstellung zu erwähnen: Wolfgang Mattheuers „Die Ausgezeichnete“ (Öl auf Hartfaser) von 1973/74, gemalt also zu einer Zeit also als in der BRD fortschrittlich Denkende immer „nach drüben“ geschickt werden sollten und dort wohl schon längst klar war, wie toll der Sozialismus ist. Die verhärmte, abgearbeitete Frau mit den paar Tulpen auf dem leeren Tischtuch vor ihr, nun, Helden der Arbeit sahen immer anders aus. Es lohnt sich dennoch zwischen den fetten Feiertagen der Weg nach Düsseldorf.
Utopie und Untergang. Kunst in der DDR | bis 5.1. | Museum Kunstpalast, Düsseldorf | 0211 566 42 100
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