Das Böse ist allgegenwärtig. Wie ein Geist umschwirrt Samiel ständig das Geschehen irgendwo im Böhmerwald. In der Wuppertaler „Freischütz“- Inszenierung von Andrea Schwalbach spielt Marco Wohlwend ihn als konservativen Teufel mit abgenutzter Aktentasche. Und dennoch geht das nicht ohne Blut ab. Die romantische Oper von Carl Maria von Weber wird hier zu einer Schlachtorgie zwischen Voodoo und Jägerlatein, die stolzen Wälder sind da längst abgeholzt und zu Brettern verarbeitet, sodass Wild und Mensch kaum noch Verstecke finden. Schwalbach hat zudem und ziemlich außergewöhnlich der Figur des Samiel Textpassagen zugeschoben, so dass er sich immanent im Spiel bewegen kann und an allen Handlungen nicht nur aus der Ferne beteiligt ist. Das ist anfangs verwirrend, aber schnell ziemlich überzeugend.
Wie eigentlich die ganze Inszenierung, in der sogar die ursprüngliche Schlussversion von Johann August Apel (1771-1816) und Friedrich Laun (1770-1849) verarbeitet wird (gesprochen von Samiel), die dem Librettisten Johann Friedrich Kind als Vorlage diente. Hier geht die Jägerburschenstory nicht so glimpflich aus: Das Käthchen (Ännchen) stirbt und Wilhelm (Max) landet im Irrenhaus. Sicherlich cool, wenn auch nicht so romantisch. Die ersten Zuschauer gehen in Wuppertal dennoch schnell, viele in der Pause. Oft ein Zeichen von intensiver Qualität, zumindest aber von zeitgenössischer Regie-Ungewöhnlichkeit, denn bei dieser Oper konnte es nicht an der Musik liegen, die vom Wuppertaler Sinfonieorchester unter der Leitung von Florian Frannek eigentlich ordentlich aus dem Graben kam, von kleinen Unsauberkeiten, insbesondere bei der Ouvertüre, mal abgesehen. Den ziemlich singfreudigen Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen sollte man aber herausheben.
Vor der Bretterwand des Forsthauses spielt sich die Handlung ab, bei der der junge Max mit seiner Büchse wie üblich nichts mehr trifft und in die Fänge des längst verlorenen Kaspars gerät. Der Teufel, der in Wuppertal Männlein und Weiblein und auch mal den Eber vernascht, stiftet in der ziemlich bevölkerten Wolfsschlucht ein paar Freikugeln, indem er etwas mordet, sein Butterbrot isst und anschließend unter viel martialischem Getöse und herabfallenden Brettern die Silberdinger in eine Schale kotzt. Hier zeigt auch das Orchester seine beste Leistung. Das blutige Opfer, eine junge Dame in Weiß, wird danach ständig präsent sein.
Präsenz ist das eigentliche Merkmal dieser Inszenierung, das das ganze Ensemble im Opernhaus auszeichnet. Alle spielen wie um ihre verlorene Seele. Niclas Oettermann als Max traut man anfangs diese markige Tenorstimme gar nicht zu, er bewältigt seine Passagen hervorragend, genau wie auch John In Eichen als böser Kaspar mit dunklem Bass. Banu Böke als unschuldige Agathe in Weiß überzeugte, Dorothea Brandt als Ännchen hat ebenfalls sehr gut gefallen.
Am Ende wird noch der Tatbestand des Paktes mit dem Teufel verhandelt. Agathe hat dank des Eremiten überlebt. Kaspar röchelt sich in die Hölle. Und die Obrigkeit muss einsehen, dass manche Privilegien vielleicht doch in die Irre führen. Ein toller Abend, der lange visuell im Kopf bleiben wird.
„Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber | R: Andrea Schwalbach | 5.1. 19.30 Uhr | Oper Wuppertal | 0202 563 76 66
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