Mit Giuseppe Verdis letzter Oper, von Johannes Weigand neu inszeniert, von Hilary Griffiths dirigiert, von Judith Fischer und Moritz Nitsche ausgestattet, gehen die Wuppertaler Bühnen gegen den Herbstblues an. Den pompösen Titelhelden gibt Kiril Manolov Todorov, jedes Pfund ein pfiffiger und selbstbewusster Genießer, dem der Körper dann und wann mit dem Geist durchgeht. „Sir John“, so beschreibt Regisseur und Opernhaus-Chef Johannes Weigand, „ist ein verarmter Adliger, hoch gebildet und fantasiebegabt, ein Connaisseur des Lebens und natürlich der eigentliche Gewinner – jedenfalls moralisch. Geld braucht man zum Leben, Punkt. Falstaff ist gewissermaßen der helle Bruder seines direkten Vorgängers, nämlich dem „Jago“ aus dem „Otello“. Schon in seinem Monolog über die Ehre im ersten Akt zeigt er sich sehr lebensklug, er weiß ganz genau, dass die Moral beim Fressen aufhört.“
Das Stück mit seinen augenzwinkernden Pointen, 1893 uraufgeführt, passt bestens in den Spielplan. Unter anderem deshalb, weil es ein „ganz wunderbares Ensemblestück ist. Die zehn Solisten und der Chor haben ganz fantastisch getimte, großartige Ensembleszenen. Jede Partie, jede Rolle ist reich und wichtig.“
Raffinierte Konstellationen
Wie bei allen wirklichen Komödien bewegt sich beim „Falstaff“ die Handlung haarscharf am tragischen Abgrund. Als Zuhörer amüsiert man sich bestens über das Elend der Figuren. Immerhin wird Falstaff beinahe erstickt, fast ersäuft und schließlich ordentlich verprügelt. Aber nicht nur der Titelheld muss kräftig einstecken, auch die anderen Figuren haben Nehmerqualitäten. „Eigentlich jeder bekommt sein Fett weg in dem Stück. In der berühmten Schlussfuge halten alle Figuren musikalisch für einen Moment inne, die Musik wird für einen Augenblick sehr nachdenklich, geradezu innerlich. Sie singen „tutti gabbati“ – „wir sind alle Geprellte“. Sie haben also eine wichtige Lebenslektion begriffen“, erläutert Johannes Weigand. Die Damen Ford (Banu Böke) und Page (Joslyn Rechter) beschreibt Johannes Weigand als selbstbewusste Frauen, auch wenn „Emanzipation“ im heutigen Sinne gar nicht thematisiert wird. „Wie viele Geschichten aus den Stücken Shakespeares ist auch diese undenkbar ohne die italienischen Novellen der Frührenaissance. Und in denen gibt es zum ersten Mal jenen realistisch betrachteten selbstbewussten Menschen, der sich vor allem um seine eigenen Bedürfnisse kümmert.“
Amüsante Einsichten
Der „Falstaff“ ist einmal Verdis Opus Summum, das er wie eine einzige große Schlusskadenz unter sein Lebenswerk gesetzt hat. Gleichzeitig ist er aber eine der ganz wenigen großen Komödien der italienischen Operngeschichte zwischen Rossini und Donizetti und dem ebenfalls singulären „Gianni Schicchi“ von Puccini, ordnet der Opernintendant das Werk ein. In der Zeit des Fin de Siècle wurden zwischen Musikdrama und Verismo nicht viele Komische Opern komponiert, schon gar nicht nach Shakespeares Komödien. Es gibt kein Werk, das bei aller Kunst und Meisterschaft mit einem so unglaublichen Understatement daherkommt wie der „Falstaff“. „Verdi gönnt uns ja kaum ein Verweilen im Moment, alles dient der Darstellung dieses perfekten Spiels.“ Und erst mit der finalen Fuge lösen sich manche Rätsel und Fragen.
Das Bühnenbild ist logisch und durchaus anregend: „Wir haben versucht, eine kleine Welt auf die Bühne zu stellen, die Heimat all der unterschiedlichen Figuren und Situationen sein kann. Verdis Falstaff ist – bei aller Kunstfertigkeit – ein realistisches Stück und braucht eine gewisse Realität auf der Bühne. Deshalb „siedeln wir die Handlung an“: in einer Zeit, die fern genug von unserer ist, aber doch so nah, dass wir Kostüme und Requisiten verstehen und einordnen können. Und an einem Ort, der genau das ist, was Verdi komponiert hat, nämlich Inghilterra. Das England, wie es die Italiener – ebenso wie wir Deutschen – lieben.“
„Falstaff“ ist auch ein Synonym für Genuss. Ob das auch in Johannes Weigands Inszenierung so ist? „Wissen Sie, mit dem Singen und dem Genuss ist es so eine Sache: Wer gute Musik macht, kann oft auch sehr gut kochen und genießen. Die Oper ist in der Hinsicht wirklich ein perfektes Dinner, aber keinesfalls nur leichte Kost.“
„Falstaff“ I Mi, 2.11. Premiere im Teo Otto Theater Remscheid
„Falstaff“ I So, 27.11. Premiere der Oper in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln an der Wuppertaler Oper I www.wuppertaler-buehnen.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Schnöde Technik oder Magie?
„Oracle“ bei der Ruhrtriennale – Prolog 07/25
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Wütende Stimme der Vielen
Deutsche Erstaufführung der Kammeroper „Thumbprint“ im Opernhaus – Bühne 06/25
Freigeist ohne Ausweg
Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ im Opernhaus – Bühne 06/25
„Das passiert natürlich auch ganz nah“
Regisseurin Katharina Kastening über „Thumbprint“ am Opernhaus – Premiere 06/25
An jedem zweiten Tag was los
Der Bürgerbahnhof Vohwinkel – Porträt 05/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Bühne 05/25
„Abschnitte, die im Nichts versanden“
Regisseur Joachim Gottfried Goller über „Die kahle Sängerin“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 05/25
Charmant und nüchtern
Comedian Vladimir Andrienko im Solinger Waldmeister – Bühne 04/25
„Ein Autor der Krise“
Regisseur Stefan Maurer über „Fräulein Julie“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 04/25
Gewinnen um jeden Preis?
„Alle spielen“ im Studio des Dortmunder Theaters – Prolog 03/25
Gnadenloses Psychodrama
Charles Gounods Oper „Faust” im Opernhaus – Bühne 03/25
„In der Welt der Kunst geht es darum, gesehen zu werden“
Regisseur Nicolas Charaux über „Mephisto“ am Wuppertaler Opernhaus – Premiere 03/25
Aura der Unschuld
„Faust“ von Charles Gounod am Wuppertaler Opernhaus – Prolog 02/25
Zeitreise mit Muse
„Von Thalia geküsst“ im Opernhaus – Auftritt 02/25
„Stimmen malen die emotionale Landschaft“
Regisseur Matthew Ferraro über „Faust“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 02/25
„Das Gesetz hat nicht immer Recht“
Regisseurin Johanna Landsberg über „Prima Facie“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 01/25
„Wir haben uns künstlerische Freiheiten genommen“
Intendantin Rebekah Rota inszeniert „Von Thalia geküsst“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 12/24
„Es geht auch darum, wer der Stärkere ist“
Regisseur Peter Wallgram über „Monte Rosa“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 11/24
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24