„Der Widerstand gegen die Umbenennung der Lettow-Vorbeck-Straße ist mir unbegreiflich“ sagt Karl Hundsdörfer, der für die Partei „Die Linken“ in der Bezirksvertretung Wuppertal-Vohwinkel sitzt. Schon als der Geschichtslehrer vor rund 30 Jahren nach Wuppertal zog, war er entsetzt, hier eine Straße zu finden, die nach dem General benannt war. Immerhin wusste er als Historiker Genaueres über Paul Emil von Lettow-Vorbeck. Zum Beispiel, dass dessen Lebenslauf sich wie eine gründliche Auflistung der größten Kriegsverbrechen und Völkermorde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts liest.
Ob in China 1900 nach der Niederschlagung des sogenannten Boxer-Aufstands, 1904 in Namibia nach dem Sieg über Hereros und Nama, nach dem Hamburger Sülzeaufstand 1919 oder nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch von 1920: Wo immer deutsche Generäle eine enthemmte, verrohte Soldateska gegen längst besiegte, entwaffnete und völlig wehrlose Zivilisten hetzten und Massenmord zur selbstverständlichen Strafe für das Aufbegehren der Bevölkerung gegen Entrechtung, Entwürdigung, Enteignung erklärten, war der 1870 in Saarlouis geborene Lettow-Vorbeck dabei. Und natürlich verhalf solcher Mordseifer dem Spross aus pommerschem Landadel zu einer steilen militärischen Karriere. Nach Kämpfen gegen alliierte Truppen im Süden Afrikas kehrt er 1918 als General nach Deutschland zurück und wird hier zur Symbolfigur für die Dolchstoßlegende, mit der die rechten Totengräber der Weimarer Republik von 1918 an gegen die junge Demokratie polemisieren.
Der Antrag auf Umbenennung traf bei CDU und FDP auf wenig Gegenliebe
All dies aber war nicht der Grund, warum SPD und Grüne gemeinsam im Juli einer Empfehlung der „Kommission zur Kultur des Erinnerns“ folgten und die Umbenennung der Straße beantragten. „Das haben wir außen vor gelassen“, sagt Georg Brodmann, SPD, und verweist auf die Schwierigkeiten genauer historischer Nachweise: „Entscheidend war, dass Lettow-Vorbeck sich maßgeblich am Kapp-Putsch beteiligte und damit eine wichtige Rolle übernahm bei dem Versuch, die erste demokratische Verfassung Deutschlands gewaltsam zu ändern. Da wir uns mit Rechtsstaat und Grundgesetz identifizieren, eignet sich Lettow-Vorbeck nicht als Identifikationsfigur“, bringt Brodmann die Sache auf den Punkt. Allerdings traf der Antrag bei CDU und FDP auf wenig Gegenliebe: „Manche haben kein Problem bei dem Namen dieses Antidemokraten und Rassisten“, wundert sich Brodmann.
Nachdem die Umbenennung im November beschlossen wurde, gab es allerdings schnell Proteste gegen den Vorschlag, die Straße nach Edith Stein zu benennen, die zum Katholizismus konvertierte Jüdin, die aufgrund ihrer Herkunft in Auschwitz ermordet wurde: „Manche wollen diesen Namen nicht, weil sie heiliggesprochen wurde. Aber sie starb wegen ihrer Herkunft, und eine Edith-Stein-Straße wäre ein deutliches Zeichen, gerade in Vohwinkel, wo NPD und rechtsextreme Kräfte stärker werden und man zunehmend diese rechtsextremen Aufkleber findet“, gibt Brodmann zu bedenken. Nun sind Bürger und Anwohner gefragt, neue Namen vorzuschlagen.
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