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Friedlich, nicht sorgenfrei
Foto: Christopher Ludwig

Deutschland ist Frieden

28. August 2019

… doch die Sorgen bleiben



Ein Abiturient hoffte, sein Abi abzuschließen, während meine Eltern hofften, eine Chance auf Bildung zu bekommen. Ein Teenager wünschte sich das beste Handy, während sich mein Bruder wünschte, gesund Zuhause anzukommen. Ein Mädchen träumte von einem Puppenhaus, während ich von einer sorgenfreien Kindheit träumte. So, wie meine Eltern ihr Vaterland für Bildung verließen, ließ auch ich meine Heimat zurück – aber nicht die Sorgen.

Wir Kurden haben keinen eigenen Staat. In Syrien sind wir eine Minderheit (wie auch im Irak, im Iran und in der Türkei). Wir sind machtlos. Sperrt uns nur unsere Angst ein? Nein. Wir wurden wirklich unterdrückt. Wir durften unsere Feiertage nicht feiern, unsere Musik nicht hören, unsere Schrift nicht schreiben. Unsere Sprache brachte uns in Schwierigkeiten. Alles, was mit der kurdischen Kultur zu tun hatte, musste versteckt werden. Als meine Eltern nach ihrem Auslandsstudium zurückkehrten, brach der Krieg aus und schränkte unsere Freiheit noch mehr ein. So hatten wir keine Wahl, uns blieb nur die Flucht.

Wir kamen in Deutschland an und suchten eine neue Heimat. Verglichen mit Syrien ist Deutschland für mich Frieden. Hier finde ich meine Ruhe, mein Glück, meine Sicherheit und meine Freude. Das ist für mich Freiheit.

Doch das Leben hier stellt mich auch vor schwierige Herausforderungen. Viereinhalb Jahre ist es her, wirklich angekommen bin ich noch nicht. Von einer Stadt musste ich zur anderen umziehen. Bis vor zwei Jahren hatte ich keinen festen Wohnsitz. Angekommen fühle ich mich bis heute nicht. Schon so lange bin ich auf der Suche nach einem Ort, den ich mein Zuhause nennen kann, aber das Gefühl der Fremde lässt mich nicht los. Hier kann ich zwar stolz zugeben, wer ich bin und niemand verbietet mir, das zu hören oder zu sagen, was ich will. Und ich schreibe, was ich denke. Aber ich kann nicht das fühlen, was ich schon immer wirklich wollte: Sorgenfreiheit.

Juanna Abdo
Foto: Jan Turek

Juanna Abdo (15) wuchs auf in Qamischli im Nordosten Syriens. Mit ihrer Familie flüchtete sie vor viereinhalb Jahren nach Deutschland. Sie lernte zwei Jahre die deutsche Sprache und besucht heute ein Gymnasium.

Das Leben, das wir uns in unserer Heimat in so vielen Jahren aufgebaut hatten, ist zerstört worden. Das alles neu aufzubauen werden wir hier nicht mehr schaffen. Diesen Verlust spüren wir ständig.

Früher spielte in meinem Leben jeden Tag der Krieg eine Rolle, doch ich hatte ein Zuhause. Ich hatte Freunde und Verwandte um mich herum. Auf jeder Straße hatte ich das Gefühl, dass mich jedes Haus und jeder Mensch herzlich grüßte, trotz der schwierigen Situation. Ich bin in Deutschland sehr gut aufgenommen worden. Doch manchmal fühle ich mich wie eine Last und irgendwie verloren.

Ich haben meine Kindheit verloren: Ich musste lernen, was Verantwortung, Einsamkeit und Fremde ist. Ich musste lernen, was Pflichten und Sorgen sind. Diese habe ich aus meiner Heimat teilweise mitgebracht. Ich finde, Kinder sollten frei sein und kein Kind sollte sich aus Angst verstecken müssen.

Ich weiß nicht, ob ich zurückkehren kann. Doch ich weiß, dass auch dieser Krieg ein Ende haben wird. Die Zeit wird zeigen, wie es weitergeht. Meine Zukunft sehe ich solange nur hier.


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Juanna Abdo

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