„Kaspar Häuser Meer“ ist, wie sämtliche Stücke der 1970 in Stuttgart geborenen Dramatikerin Felicia Zeller, eine Komödie. Behauptet sie. Offensichtlich kommt es immer auf die Perspektive an. Nach „Ich Tasche“, einer irrwitzigen Aneinanderknüpfung unglaublicher Begebenheiten und Erlebnisse mit der Bundesbahn, kommt nun eine weitere Arbeit dieser erstaunlichen Dramatikerin auf die Bühne. Die Schwäbin zählt zu den wichtigsten Autoren der Gegenwart, und ihr „Kaspar Häuser Meer“ ist seit seiner Uraufführung durch Marcus Lobbes 2008 eines der meistgespielten Stücke.
Es erzählt von drei Sozialarbeiterinnen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wer ausgebrannt ist, muss auch irgendwann mal entbrannt sein, heißt es bei Felicia Zeller. Heillos überfordert sind Anika (Anne-Catherine Studer), Sylvia (Julia Wolff) und Barbara (An Kuohn) permanent an der Grenze agierende Frauen, die sich tagtäglich erneut durch die Mühle drehen, um zu helfen. „Es ist ein schwerer Stoff und ein extrem schwieriges Thema“, so Dramaturg Sven Kleine, „fernab von bekannten Stereotypen mit Doku-Style oder Betroffenheitssymptomen, wie sie aus dem Fernsehen bekannt sind.“ Zu dritt – Kollege Björn hat sich krank gemeldet, er hat das „Björn-Out-Syndrom“, und keiner weiß, ob und wann er ins Amt zurückkehrt – allein mit Hunderten von Fällen von drohender Kindeswohlgefährdung gehen sie die Sisyphosarbeit an. Mal wütend, mal rasant und verzweifelt komisch. „Der Aberwitz des Alltags mit dem ewigen Kampf gegen Überarbeitung und Überbelastung und dem gleichzeitigen Willen zu helfen, wird präzise beschrieben.“ Wie hoch ist der Grad des Idealismus, um das durchzustehen? Denn Scheitern beschreibt hier nicht einen Skandal, sondern ist auszuhaltender Teil der Arbeit. Zu helfen birgt eben immer ein Risiko. Das ist ein Dilemma, und bevor die Psyche in die Knie geht, tut es bei Felicia Zeller die Sprache. Wie auch bei „Ich Tasche“ handelt es sich um etwas wie eine Sprechpartitur, die erst auf der Bühne ihre volle Wirkung entfaltet. „Es muss bei den Frauen ganz vieles gleichzeitig gehen. Das erzeugt Druck und Tempo, eine wahre Aufholjagd, die keine vollständigen Sätze mehr zulässt“, beschreibt Sven Kleine diese „konzise Kunstsprache, die kritisch geerdet ist“.
Märchenhafte Oper
Aber der Premierenreigen im Februar beginnt nicht mit „Kaspar Häuser Meer“. Bereits am 4.2. hebt sich für die Kammeroper „Der Drache vom Dönberg“ der Vorhang. Boris Brinckmann übernimmt die Musikalische Leitung des märchenhaften Stoffs. „Ein Drache entspannt sich unter unserer Markise / Und wir befinden uns in einer großen Krise.“ Damals in der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat und alles aus Holz war, damals also, als das Tal an der Wupper noch nicht bankrott war, war nicht das Haushaltskonsolidierungskonzept das größte Malheur. Eine ungleich größere Gefahr war ein Drache. Nur einem einzigen Mann gehorcht er, und als die verzweifelten Bürger diesen bitten, den Drachen dingfest zu machen, will der natürlich Lohn für sein Tun. Weil das Stück in mystischen Zeiten angesiedelt ist, kann also nicht weniger als das hübscheste Mädchen der Stadt die angemessene Entschädigung für den Tapferen sein. Dummerweise aber wird der Tapfere so zum Bigamisten – er hatte schon einer anderen die Ehe versprochen –, und der Kampf der Giganten muss warten.
Der Stoff zur Oper stammt aus anonymer Quelle, der Komponist John Frederick Lampe machte daraus eine treffsichere, humorvolle Angelegenheit, bei der so mancher Held, der in minutenlangen Arien sein Schicksal gesanglich ausweidet, ebenso böse wie punktgenau konterkariert.
Integration und Islamfeindlichkeit
In was für einer Gesellschaft leben wir? Und was ist die Vision der Gesellschaft, in der wir gerne leben würden? Zu den übergeordneten Themen, denen sich das Schauspielhaus mit der Auswahl seiner Stücke widmet, gehören neben Demografischem Wandel, Wirtschaft und Ökonomie ebenso Migration und Integration. „Von Anfang an war klar, wir wollen Grillparzers „Goldenes Vlies“ nicht bloß nachspielen“, erinnert Dramaturg Oliver Held, warum dieses sogenannte dramatische Gedicht auf dem Spielplan landete. Franz Grillparzer rückt die Schilderung der Beziehung zwischen Jason (Holger Kraft) und Medea (Maresa Lühle) ins Zentrum seines Werks. Als wesentliche Ursache für das Scheitern ihrer Liebe betont er den Moment der Fremdheit, des Ausgestoßenseins, des Nicht-Verstandenwerdens Medeas, er lässt die „barbarische“ Kolcherin an der zivilisierten Xenophobie Korinths verzweifeln.
Das „Schicksal einer Fremden in einem fremden Land“, wie Grillparzer selbst seine Trilogie nannte, ist unter anderem durch den Autor Kai Schubert aktualisiert worden. Auch eine Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazins Brandbuch über die seiner Meinung nach gescheiterte Integration der muslimischen Zuwanderer fand „natürlich statt. Da werden wir sehr deutlich Stellung zu beziehen“, erklärt Oliver Held. Schließlich ist Jenke Nordalms („Eleni“) Inszenierung auch insofern etwas ganz Besonderes, als dass sie in Zusammenarbeit mit der türkischen Theatergruppe „Elele Tiyatrosu“ („Hand in Hand-Theater“) – sie ist seit über 20 Jahren in Wuppertal beheimatet – entstanden ist. Das „Goldene Vlies“ arbeitet zur besseren Verständlichkeit mit entsprechenden deutschen und türkischen Übertitelungen.
4.2.(P) I „Der Dache vom Dönberg“ I Kleines Schauspielhaus Wuppertal
5.2.(P) I „Das goldene Vlies“ I Oper Wuppertal
26.2.(P) I „Kaspar Häuser Meer“ I Kleines Schauspielhaus Wuppertal
weitere Aufführung plus Gesamtprogramm: http://www.wuppertaler-buehnen.de www.wuppertaler-buehnen.de
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