Shakespeares „ König Lear“ war bei ihm eine Spurensuche, Kafkas „In der Strafkolonie“ eine konzertante Lesung und Heines „Resonanzen“ eine klangliche Entfaltung. Wenn Olaf Reitz inszeniert, sind die Ergebnisse eher experimenteller Art und haben nur wenig mit dem zu tun, was gemeinhin als „klassische Bühnenarbeit“ bezeichnet wird. Weil es für diese Art der Arbeit keine feststehenden Begriffe gibt, werden sie als interdisziplinäre Projekte beschrieben. „Mit dem Wissen, dass es alles schon mal gegeben hat, geht es mir darum, ein Thema wirklich zu durchdringen. In der gründlichen Auseinandersetzung möchte ich gucken: ‚Was steht denn da überhaupt?‘ und einen Stoff neu betrachten und ergründen.“ Eben Zugriff auf eine Figur haben und nicht einen bloß Text aufsagen.
Lust am Risiko
Natürlich bedeutet diese Herangehensweise immer Risiko. „Risiko birgt die Möglichkeit des Scheiterns. Wer nicht bereit ist, dieses Risiko einzugehen, kann nie etwas Neues entstehen lassen.“ Die Olaf-Reitz-Stimme, auch bekannt durch Lesungen und Hörbücher, klingt wunderbar warm, weich und singend. Mag sein, dass es des Schauspielers Ding ist, immer das gewisse Quäntchen zu leise zu sprechen, damit man ihm noch lieber zuhört. Auf solche Effekte verzichtet der im September 1969 in Wuppertal lebende Regisseur im Gespräch gerne. Genau hört er sich die Frage an, denkt nach, nimmt sich die Zeit, die er braucht, um eine Antwort zu formulieren. Und spricht. Mit eben dieser Samtstimme − ganz sicher sein Kapital. Denn, das gibt er zu, manche der interdisziplinären Projekte, die tradierte Grenzen unterschiedlicher Kunstformen überschreiten, manche dieser nicht immer ganz leicht den Mäzenen und Sponsoren und auch der Presse zu vermittelnden Arbeiten, die alles andere als Mainstream sind und eben auch nicht massenkompatibel Geld in die Kasse spülen, manche dieser szenisch-visuellen Installationen sind nur finanzierbar, weil er mit seiner Stimme eben auch mal zum schnöden Broterwerb einen Werbespot spricht. „Das finde ich vollkommen richtig.“
Ist es auch. Und dabei für das, was den Regisseur und Sprecher Olaf Reitz ausmacht, so vollkommen wurscht, dass er es wirklich unter dem Nebenschauplatz „schnöder Gelderwerb“ abhaken kann. Viel interessanter ist es, mit Olaf Reitz, der nach eigenem Bekunden zu seinem Beruf als freier Künstler keinen Plan B hat und auch keinen Plan B will, über seine Theaterprojekte zu sprechen. Über die „Robinsonade“ etwa oder die verschiedenen Zusammenarbeiten mit Reinhard Schiele oder deutsch-kubanische Theaterbegegnungen. „Das Tolle an Kuba ist: es gibt dort alles, von klassischem bis modernem Theater. Und Theater ist dort Teil des gesellschaftlichen Diskurses.“ Darüber kann er schwärmen, die unglaubliche Lebendigkeit, und dass „Theatergänger ernst genommen werden“.
„Ich will mich jedenfalls nicht aufdrängen“, resümiert er. Diese Bevormundungen, die oft mit „klassischen Bühnenarbeiten“ einhergehen, sind seine Sache nicht.
Lust am Diskurs
Gern bringt er die Dinge auf den Punkt. Mit uneitlem Eigensinn, direkt, unbestechlich, so nennt er die unschönen Fakten und diese liefern in Wuppertal, „einer Stadt, in der die professionelle freie Kultur kaum noch Sonne sieht“, mehr als genug „absurde Geschichten fürs Lagerfeuer“. „Ein kulturpolitisches Konzept fehlt. Auch die beharrliche Weigerung, Grundkonzepte umzusetzen, fuchst mich“, sagt er zum Thema „öffentliche Förderung“. „Ich muss immer schauen, woher das Geld kommt“.
Aber weil das immer wieder gelingt, kann er sein Publikum immer wieder Neues entdecken lassen. Bei der „Forschungsreise durchs Bergische Land“ heißt das Juli-Thema „Bleiben“, im Rahmen des Open-Air-Kinos TALflimmern wird seine Adaption des Saint-Exupéry-Klassikers „Der kleine Prinz“ zu sehen sein und für das kommende Jahr plant er Musiktheater in Form einer Stadtführung. Die Idee zur „Wunderflunkerstadtrundfahrt“ kam ihm bei einer Dampfertour über die Spree in Berlin. „Wuppertal ist keine Stadt, die Dir auf den ersten Blick das Herz verhext. Es ist eine arme Stadt, die sich immer wieder neu erfinden muss – und dabei manchmal auch flunkern darf.“ Orte sollen neu entdeckt werden, beispielsweise das Opernhaus, bekannt für seine „Tuffi“-Arie oder die Farbmühle, an der der Färbertanz aufgeführt wird. Genauso wenig wie er sich fürchtet, „immer wieder in den Ring zu steigen und sich auseinander zu setzen“, hat er auch keine Angst davor, Neues auszuprobieren.
Mehr über Olaf Reitz und alles zu bevorstehenden Projekten und Terminen im Netz bei www.olafreitz.de
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