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Dedi Baron und Thomas Braus
Fotos: Aliki Anagnostakis und Uwe Schinkel

„Was ist überhaupt gut, was ist böse?“

26. Juni 2019

Dedi Baron und Thomas Braus über „IchundIch“ in Wuppertal – Premiere 07/19

Das Theaterstück „IchundIch“ gehört nach Wuppertal – ganz besonders im Jubiläumsjahr des 150. Geburtstages von Else Lasker-Schüler. Die israelische Regisseurin Dedi Baron und ein installatives Raumkonzept machen die Wuppertaler Riedel-Hallen zum Erlebnisort für die theatralische Tragödie. Trailer sprach mit ihr und dem Wuppertaler Intendanten Thomas Braus, der das parallele Studentenprojekt leitet.

engels: Frau Baron und Herr Braus, ist „IchundIch“ schon Sampling deutscher Literatur oder mehr eine Adaption von Goethes Faust?
Dedi Baron: Es ist ein Dialog zwischen Else Lasker-Schüler und Goethes Faust. Lasker-Schüler beschäftigte die Frage, ob Goethe das Stück wohl auch nach der Nazi-Diktatur geschrieben hätte und zeigt so ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt, denn sie hat selber sehr gelitten und die Vision gehabt.
Thomas Braus: Es ist auf keinen Fall eine Adaption. Lasker-Schüler schreibt den Faust nicht neu, sondern sie mischt beide Figuren, die zu ihrer Lebensgeschichte dazu gehören. So arbeitet sie bestimmte Themen ab. Auch indem sie im vierten Akt die ganz kühne Behauptung aufstellt, Faust und Mephisto seien eigentlich eine Person. Es ist also ein eigenes Stück, indem die Figuren vorkommen, auch einen Mephisto, der sich darüber ärgert, dass die Nazis böser sind als er.

Inszeniert man die krude Geschichte gegen Nazis auch für Nazis, obwohl die das doch sowieso nicht verstehen?
DB: Sehr gerne bekäme ich auch Nazis dazu, in die Inszenierung zu gehen. Weil die meisten links stehenden Zuschauer sind ja schon überzeugt. Wenn rechtsgesinnte Leute kämen, würde es vielleicht eine echte Diskussion werden. Die Fragen richten sich ja an alle. Wir können nicht über Toleranz und gegen Faschismus arbeiten und dann faschistisch agieren und sagen, wir haben immer Recht und die immer Unrecht. Wir wollen in erster Linie rituelle Momente. Was man über den Verstand aufgenommen hat, vergisst man auch schnell. Mir geht es um etwas, das unter die Haut geht.

Wie wichtig ist der Spielort Jerusalem für die Tragödie heute noch?
DB: Sehr, sehr wichtig. Jerusalem ist ein Zentrum für genau die Konflikte, Jerusalem nicht als heilige Stadt, sondern die Stadt in ihren Widersprüchen: Es kann eine Hölle sein, es kann aber auch gut sein. Das beschäftigt uns am Ende der Inszenierung. Gerade sehe ich Jerusalem sehr dunkel – „Wenn man die Hoffnung verliert“, sagt Else Lasker-Schüler, „mach weiter“.

Hat das Fragment einen zeitgenössischen Kern jenseits vom Gut gegen Böse?
DB: Wir versetzen es ins Heute. Was ist überhaupt gut, was ist böse. Die Fragen stellen wir uns auch als Israelis, als Juden. Wir spielen gerade die Rolle von den Schlechten, finde ich. Deshalb sind da auch zeitgenössische Texte aus israelischen Zeitungen. Aber nur wenn das Gute und Schlechte zusammenkommt, kann man einen neuen Anfang machen.

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das ist ja Cross-over wie im Internet… braucht es deshalb Video, Musik und die Form von Installation?
DB: Else Lasker-Schüler hat das so geschrieben. Auch das mit dem Film. Sie lässt Leute von Hollywood auftreten, im Subtext ist das ihr Traum und wir versuchen ihren Traum, ihre Vision zu erfüllen. Sie schreibt das im Text ganz konkret: Ist durch einen Film darzustellen.

Von Faust und Mephisto noch nix zu sehen, Foto: Aliki Anagnostakis

Wie spaltet man Tugend von Sünden?
TB: Sie beschreibt das im Stück. Die Spaltung meint auch die Existenz beider Figuren. Es gibt eine Version, da waren Faust und Mephisto nicht gespalten. Irgendwann kam eine Trennung. Es geht nicht nur um das Gute und das Böse, sondern um alle möglichen Formen der Abspaltung, die in einer menschlichen Figur entstehen können. Das lösen wir in der Inszenierung mit vier Mephistopheles und vier Doktoren Faust.

Worum geht es im Studenten-Projekt?
DB: Wir wollten einer jüngeren Generation die Möglichkeit bieten. Beteiligt sind meine Regie-Studierenden der Universität Tel Aviv und von der UDK in Berlin der Studiengang Szenisches Schreiben von John von Düffel. Die Studierenden lesen das Stück von Lasker-Schüler und schreiben, was sie heute dazu denken. Was hätten sie sie über die Zukunft gefragt. Die deutschen haben Texte nach Israel geschickt, und die erarbeiten ihre Vision. So erreichen wir auch, dass der Text kein Museum wird.
TB: Die waren auch alle ganz gespannt auf das Projekt. Barbara Noth, die Dramaturgin und ich sind nach Berlin gefahren und haben es vorgestellt. Ich war dann auch in Tel Aviv und habe dort das Projekt vorgestellt und erzählt, dass wir „IchundIch“ in einer Halle als Installation in einer stark gekürzten Version machen. Die israelischen und die deutschen Studenten haben sich alle nochmal den Faust durchgelesen. Wir haben dann gesagt, nehmt das Material und schaut, was ihr daraus machen könnt. Die Studierenden aus Berlin und Tel Aviv kommen nun am 1. Juli zusammen hierher und arbeiten das, was sie jetzt schon haben, hier fertig. Es wird dann eine Performance geben und sie bleiben bis zur letzten Vorstellung da. Die deutschen haben die Texte geschrieben, aber die israelischen Studenten spielen.

„IchundIch – Eine theatralische Tragödie“ | R:Dedi Baron | 6. (P), 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13.7. je 19 Uhr | Riedel-Hallen Wuppertal | 0202 563 76 66

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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