Ein verschachteltes Drama ist der Kapitalismus immer gewesen, und seine soziale Seele verkrüppelte schnell in den Anfängen. Kohle, Money, Dollars, Euro, wie man es auch nennen will, nur damit kann man heute sicher durch Leben segeln. Und da hilft auch kein Theater. Zwar gilt der 1970 in London geborene Dennis Kelly als Entdeckung unter den neuen englischen Dramatikern, doch seine angebliche Kapitalismuskritik „Liebe und Geld“, 2006 geschrieben, ist nicht viel mehr als eine Plattitüde für diejenigen, die nicht blind durchs Leben taumeln. An die Qualitäten einer Sarah Kane reicht er bei weitem nicht heran. Und so setzt das Stück dem bösen System ausgerechnet Glaube, Liebe, Hoffnung, die Grundlehren des bösen Christentums, entgegen, in einer komplizierten Szenenfolge, in Rückblenden in pseudoradikalen Dialogen.
Peter Wallgram reduziert in Wuppertal die Gesellschaft auf einen Alptraum voller Teddybären, in dem die Szenen nummernartig vorbeiziehen, strukturiert durch zwei hölzerne Verschiebewände, auf denen sowohl Glauben als auch Hoffnung geschrieben steht, und die sich gegenseitig begrenzen und kleine Räume bilden, in denen die Zweipersonen-Szenen stattfinden. Dass dabei die Nebenrollen viel von der inhaltlichen Substanz verbrauchen, ist auch eher eine Schwäche des Stücks als der Regie, an den Schauspielern gab es sowieso nichts zu meckern.
Da ist einmal Jess (Maresa Lühle), die, dem Kaufrausch erlegen, so viele Schulden angehäuft hat, dass sie sich das Leben nehmen will. Ihr Mann David (Marco Wohlwend) hilft gern mit eingeträufeltem Wodka nach, als der Versuch zu scheitern droht. Der Lehrer will den Schulden so elegant entkommen und vielleicht endlich mit seinem Ford Mondeo auf die Piste können. Dummerweise erzählt er das alles seiner französischen Internetfreundin Sandrine, die daraufhin den Kontakt abbricht und damit auch den ersten Teil der Geschichte beendet. Aber David ist pleite, muss jetzt Kohle scheffeln. Seine Ex mit eigener Firma bietet einen neuen Job mit zu niedrigem Gehalt, macht aber einen bösen Vorschlag: Blowjobs bei Männern seien die neue Goldgrube. Der Lehrer ist entsetzt – und steigt ins Porno-Business ein. Wie soll er auch sonst zum neuen Mondeo kommen? Am Anfang hatten sie noch nachgedacht über die Welt: „Was ist so schlimm dran, dass es einen Sinn gibt?“ Jetzt streift Jess im Hintergrund als Bunny durchs Teddywunderland, und ihre Eltern streiten sich an der Grabstätte mit dem Nachbarn. Selbst hier hat der Neid als Triebfeder allen Besitzstandes die Oberhand. Und Rentner werden dafür noch militant. Netter Gag, Herr Kelly, aber wozu? Der Tanz ums Goldene Kalb wird weitergehen, wenn auch die zuckersüße Jess in einer letzten Rückblende und langem Monolog das Plädoyer für die Liebe hält, und dann endlich das Licht ausgeht. Eine gute Regieidee mit gelungener Dramaturgie ist zu Ende. Alle gehen nach Hause durch die Adventnacht – das Fest des deutschen Einzelhandels lauerte bereits. Hier findet die wirksamste Verbindung von Liebe und Geld statt.
„Liebe und Geld“
Sa 8.1., 20 Uhr
Kleines Schauspielhaus Wuppertal
0202 569 44 44
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Schnöde Technik oder Magie?
„Oracle“ bei der Ruhrtriennale – Prolog 07/25
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Wütende Stimme der Vielen
Deutsche Erstaufführung der Kammeroper „Thumbprint“ im Opernhaus – Bühne 06/25
Freigeist ohne Ausweg
Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ im Opernhaus – Bühne 06/25
„Das passiert natürlich auch ganz nah“
Regisseurin Katharina Kastening über „Thumbprint“ am Opernhaus – Premiere 06/25
An jedem zweiten Tag was los
Der Bürgerbahnhof Vohwinkel – Porträt 05/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Bühne 05/25
„Abschnitte, die im Nichts versanden“
Regisseur Joachim Gottfried Goller über „Die kahle Sängerin“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 05/25
Charmant und nüchtern
Comedian Vladimir Andrienko im Solinger Waldmeister – Bühne 04/25
„Ein Autor der Krise“
Regisseur Stefan Maurer über „Fräulein Julie“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 04/25
Gewinnen um jeden Preis?
„Alle spielen“ im Studio des Dortmunder Theaters – Prolog 03/25
Gnadenloses Psychodrama
Charles Gounods Oper „Faust” im Opernhaus – Bühne 03/25
„In der Welt der Kunst geht es darum, gesehen zu werden“
Regisseur Nicolas Charaux über „Mephisto“ am Wuppertaler Opernhaus – Premiere 03/25
Aura der Unschuld
„Faust“ von Charles Gounod am Wuppertaler Opernhaus – Prolog 02/25
Zeitreise mit Muse
„Von Thalia geküsst“ im Opernhaus – Auftritt 02/25
„Stimmen malen die emotionale Landschaft“
Regisseur Matthew Ferraro über „Faust“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 02/25
„Das Gesetz hat nicht immer Recht“
Regisseurin Johanna Landsberg über „Prima Facie“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 01/25
„Wir haben uns künstlerische Freiheiten genommen“
Intendantin Rebekah Rota inszeniert „Von Thalia geküsst“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 12/24
„Es geht auch darum, wer der Stärkere ist“
Regisseur Peter Wallgram über „Monte Rosa“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 11/24
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24