In Schweden ticken die Uhren anders als in Deutschland. In der Zeit, als bei uns den Kindern noch „Max und Moritz“ und der „Struwwelpeter“ vorgelesen wurden, schrieb Astrid Lindgren schon ihre Kinderbücher über anarchistische Mädchen wie „Pippi Langstrumpf“ oder „Lotta aus der Krachmacherstraße“.Schweden gilt für viele als liberales, gar libertäres Musterland. Gerade im Hinblick auf Sexualität war das skandinavische Land ein Vorreiter gegen Verklemmtheit und Verbote. Als Pornos hierzulande noch unter der Ladentheke gehandelt wurden, hingen entsprechende Zeitschriften in Schweden hochoffiziell in den Auslagen der Kioske. So verwunderte es zunächst einmal, als im Jahr 1999 vom Stockholmer Parlament ein umfassendes Prostitutionsverbot erlassen wurde. Anders als bei Gesetzen aus früheren Zeiten aus anderen Ländern allerdings verfolgte das Gesetz nicht die Prostituierten, sondern die Zuhälter und Freier. Zuhälter müssen mit bis zu sechs Jahren Gefängnis rechnen, organisierte Menschenhändler sogar mit zehn Jahren. Freier können mit bis zu einem halben Jahr Freiheitsentzug bestraft werden. Deshalb fand das Gesetz in Schweden, aber auch auf der ganzen Welt Zustimmung bei vielen Feministinnen.
Scharfe Kritik am Gesetz
Jetzt, nach fast 15 Jahren fällt die Bilanz durchwachsen aus. Das Gesetz, das ursprünglich von der damaligen Regierungsmehrheit von Sozialdemokraten, Grünen und Linken gegen die Stimmen der Konservativen verabschiedet wurde, findet ausgerechnet im linken und feministischen Lager, aber auch bei den betroffenen Frauen scharfe Kritiker. Die Zeitschrift „EMMA“ zitiert die Feministin Petra Östergren. Das Prostitutionsverbot sei, so Östergren, lediglich ein moralkonservativer Versuch, „alles Schmutzige, Nichtkonforme, Abartige“ aus Schwedens Kleinfamilienidyll zu entfernen, und keine ernstgemeinte Anstrengung, sexuelle Ausbeutung grundsätzlich zu bekämpfen und Frauen zu schützen. Östergren befürworte eine Legalisierung ähnlich wie in Deutschland. Die Zeitschrift, die sich in einer Kampagne für ein Prostitutionsverbot auch in Deutschland einsetzt, zitiert auch Feministinnen, die dem Verbot positiv gegenüberstehen. „Das Gesetz wurde verabschiedet, weil wir der Meinung waren, dass Prostitution auf gesellschaftliche Machtverhältnisse verweist, in denen Männer noch immer mehr Macht haben als Frauen“, so Gudrun Schyman in der „EMMA“. „Spiegel online“, das sich des Themas auch angenommen hat, lässt einige Prostituierte aus Schweden zu Wort kommen, deren Arbeitsbedingungen durch das Verbot sehr viel härter geworden sind. Die wenigen Freier, die geblieben sind, könnten den zum Teil drogensüchtigen Frauen ihre Bedingungen diktieren. Ob das Gesetz tatsächlich für alle Schweden gilt, ist strittig. König Carl Gustav zumindest befindet sich trotz pikanter Enthüllungen von vor drei Jahren noch auf freiem Fuß. Auf Freiersfüßen wird er vielleicht nicht mehr wandeln.
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