Derzeit dudeln überall in Kaufhäusern, auf den Weihnachtsmärkten aus Lautsprechern und daheim aus der Flimmerkiste zu Werbespots schnulzig, kitschig wie Gassenhauer altbekannte Weisen wie „O Tannenbaum“, „Es ist ein Ros entsprungen“ oder „Stille Nacht“. Viele lieben dieses alljährliche Ritual. Diejenigen, die mit solchen glattgebügelten Hörweisen nichts zu tun haben wollen, gehen lieber zu gehaltvollen Weihnachtskonzerten. Eines davon gibt es im Kulturzentrum Immanuel, wohin man in Scharen strömt. Denn die weltweit hoch angesehene WDR Big Band ist gekommen, um mir ihrem Programm „Have Yourself A Jazzy Little Christmas“ in der ausverkauften Immanuelskirche für einen hochkarätigen vorweihnachtlichen Abend zu sorgen.
Ja, die bereits erwähnten Lieder gehören mit zum Programm, aber auch „Morgen Kinder wird’s was geben“ und Standards wie „Little Boy“ oder „My Favorite Things”. Hinzu kommen Weihnachtshits der Vereinigten Staaten „The Christmas Song“ und Donny Hathaways „This Christmas“. Insgesamt sind es zehn Nummern plus „Good Time Roll“ als Zugabe, die in einem anderen als dem üblichen Licht erscheinen. Dafür zuständig ist Bob Mintzer, seit 2006 Chefdirigent der WDR Big Band, in den USA als Saxophonist wie ausgewiesener Big-Band-Spezialist und allerorts als einer der weltweit besten Arrangeure für Jazzorchester in aller Munde. Er scheint die Stücke der Band auf den Leib geschnitten zu haben.
In anderem Licht
Erst nach einer klangfarbenreichen Hinführung erscheinen die Melodien, doch dann selten im Original. Wie im Jazz en vogue befinden sich die Betonungen auf schwächeren Zählzeiten. Oft werden sie nicht von einem Instrument gespielt, sondern sind auf die Bläsergruppen verteilt. Etwa beginnen die Saxophone, anschließend übernehmen die Posaunen, und die Trompeten beenden sie. Die Sounds wechseln stetig: variable Bläsermixturen, rhythmische Wechsel wie harmonische Rückungen, zwischendurch gestochen scharfe Fill-ins seitens der Trompeten, kraftvolle Holzblas-Akzente. Latent ist der Swing immer mit dabei. Dabei kommt die große Palette an Big-Band-Sounds zum Tragen: schwungvoller Groove, sonore dynamische Entwicklung von ausgeglichener Ruhe hin zum kultiviert-satten Fortissimo im Tutti.
Perfekt bringt die WDR Big Band diese teils komplexen Arrangements zu Gehör. Auch die solistischen Einlagen der Bandmitglieder lassen keine Wünsche offen. Daran beteiligt ist auch Mintzer, der neben seinem präzisen Dirigat ebenfalls mit seinem Tenorsaxophon und EWI (Blassynthesizer) brilliert.
Stimmlicher Höhepunkt
Ein weiteres Highlight ist bei einigen Titeln der Auftritt von Lynne Fiddmont. Die jenseits des Großen Teichs sehr bekannte Sängerin hat unter anderem mit international renommierten Musikern wie Stevie Wonder, Phil Collins, Barbra Streisand, George Dukel und Joe Zawinul zusammengearbeitet. Ihre klare, in ihren Bann ziehende Stimme integriert sich vorbildlich in die reichhaltigen Klänge. Packend singt sie ausgesprochen variabel etwa die Songs „Here’s To Life“ oder „This Christmas“.
Nach der bereits angeführten Zugabe ist Schluss. Ginge es aber nach den Wünschen des hellauf begeisterten Publikums, könnte sich das wie im Flug vergehende Konzert gerne noch um viele Stücke in die Länge ziehen.
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