Eigentlich ist die Geräuschkulisse in einem Museum selten stilbildend. Dass sich jetzt auch noch gleich ein Soundpanzer in den Eingeweiden des Dortmunder U versteckt hielt, das lag am „mechanischen Corps“, das die neue Ausstellung des Hartware MedienKunstVereins bespielt oder besser gesagt bedampft. Der Monster-Soundpanzer von Nik Nowak aus Berlin durfte auch nur zur Eröffnung in der Tiefgarage eingesetzt werden, permanente 4000 Watt könnten ja die alten Geister des ehemaligen Gär- und Lagerkellers der Brauerei aus dem Jenseits befreien und die hatten ja schon ihre Ausstellung im HMKV.
Jetzt geht es also um die Spuren von Jules Verne, um Steampunker und um dieses immer mehr um sich greifende Gefühl, dass die Geschwindigkeiten des heutigen Lebens irgendwie nicht mehr zu den biologischen Mensch-Einheiten dieses Planeten passen. Warum ausgerechnet das Zeitalter der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert heute wieder in Mode gerät, das versucht die Ausstellung, kuratiert von Peter Lang (†) und Christoph Tannert, zu ergründen und dem vielschichtigen Phänomen nachzuspüren. O.k., ich gebe es ja zu, mich faszinierte natürlich erst einmal der Nautilus Gameboy (2014) von Wendy Esmeralda Castillo – die Locus-Solus-Experimentieranordnung habe ich als Tetris-Jünger zwar nicht ganz verstanden, aber die Vorstellung, dass Käpt‘n Nemo da irgendwo unter Wasser an den goldenen Rädchen fummelt und Super Mario ins Rennen schickt, das hat schon was. Es schlägt irgendwie nicht nur eine Brücke in die Welt vor den 3D-Echtzeit-Wargames, visuell zeigt es auch die Liebe zum unikaten Detail eines alten Handwerkers.
Während ich noch staune, klickt es unaufhörlich. Die Ursache ist nicht so einfach zu finden in den Räumlichkeiten, Uhren sind nicht zu entdecken. Dafür eine einfache Leiste und ein Spiegel, hier kommt das Geräusch her. Die Polin Alicja Kwade beschäftigt sich in „Singularität“ (2009/14) mit der Zeit an sich, die vergeht, selbst wenn den Uhren die Zeiger entwendet wurden. Ansonsten scheint die Zeit eher stehengeblieben zu sein. Andreas Gerth aus Berlin hat sie in Tönen generiert, mit Steuerspannungen, die sich gegenseitig modulieren, ein Verfahren, das ein halbes Jahrhundert alt ist. Völlig aus der Zeit gefallen scheint Roland Fuhrmanns „Rudi 1“ (2002). Ein goldblitzendes Gebilde aus dem zahlreiche Paddel starren. Ein Versuchsmodell zur Ermittlung der Effizienz des Ruderantriebs für Luftschiffe nennt der Künstler das hängende Gebilde. Ich überlege, was Jules Verne dazu wohl gesagt hätte. Bis zum Mars vielleicht – mit Paddeln? Eigentlich eine schöne Idee. Dermaßen skurril geht es immer weiter, retro-futuristische Maschinen wohin man schaut, eine alte Schreibmaschine dient als Keyboard, ein alter U-Boot-Dieselmotor erzeugt Stimmen und Geräusche, das Kronos-Gerät von Roland Boden fährt im Abwasserkanal. Die abgefahrenste Idee zu Schluss: Michael Sailstorfer bohrt mit der Freiheitsstatue Löcher in die tragenden Säulen des Dortmunder U. Mitten in der Ausstellung. „Freedom Fries am Arbeitsplatz“ (2014) heißt das kleine Maschinchen. In Paris soll es eine große geben. Was bohrt denn die wohl an?
„Das mechanische Corps“ | bis 12.7. | HMKV im Dortmunder U | 0231 496 64 20
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