Pi mal Daumen vor 40 Jahren, Jazzfest in Stuttgart. Das United Jazz and Rock Ensemble spielt in der proppenvollen großen Halle. Jon Hiseman zaubert derart an seinem riesigen Drumset inklusive zweier Bassdrums, dass einem die Spucke wegbleibt. Anschließend tritt Billy Cobham mit seiner Band auf. Er hat natürlich mitbekommen, was sein Kollege da treibt und denkt sich wohl: Das kann ich auch. An seiner gleich großen Hütte (salopp für Schlagzeug) setzt er sogar noch eins drauf. Beide umjubelte Schlagzeuger haben zu der Zeit schon Kultstatus.
Jahrzehnte jünger
Heute, Jazz Club im Loch. Billy Cobham ist mit seiner aktuellen Band in das soziokulturelle Zentrum mit seinem kleinen, bis auf den letzten Platz besetzten Veranstaltungsraum gekommen. Nächsten Monat wird er 81 Jahre alt und gilt inzwischen als lebende Legende. Immernoch ist er viel unterwegs. Etwa war er rund einen Monat zuvor im New Yorker Blue Note zu Gast. Sein Alter merkt man ihm nur ein wenig an, wenn er langsam die Bühne betritt. Hat er aber hinter seinem monströsen Schlagzeug Platz genommen, wirkt er um Jahrzehnte jünger, geht wieselflink mit seinem Trommeln und Becken um. Was sich in den Bands vom Miles Davis 1969 und 1970 bereits abzeichnete und kurz danach im von John McLaughlin gegründeten Mahavishnu Orchestra zur Reife kam, demonstriert er an diesem Abend par excellence: Powerplay nonstop. Seine unverwechselbare Art, Jazzrhythmen und harte Rockbeats zu einer Einheit zu formen, lässt er wie anno dazumal quirlig, spielerisch leicht von der Bühne kommen. Sein energiegeladenes Spiel scheint ihn überhaupt nicht zu erschöpfen. Nur einmal, zu Beginn der zweiten Konzerthälfte, zeigt er sich mit seinem ausgedehnten Solo von einer anderen Seite. Mit je zwei Drumsticks in den Händen zaubert er raffiniert, sensibel und feingliedrig eine große Palette an komplexen Rhythmen. Doch dann kommt wie aus heiterem Himmel ein knallender Schlag und nahtlos geht es kraftvoll weiter mit seinem Hit „Stratus“.
Atemlos
Aus weit über vierzig Alben, die Cobham unter seinem Namen seit 1973 auf den Markt brachte, wird ein kleiner Querschnitt präsentiert, der seine Laufbahn Revue passieren lässt: etwa „Bombay Chill“, „Spectrum“, „Total Eclipse“ oder „Tinsel Town“. Auch ein ganz neues Werk ist mit dabei, laut Cobham eine Premiere: „Red Moon“. „Time Machine“ lautet dementsprechend der Titel der Tournee, auf der sich die Billy Cobham Band gerade befindet. Dabei zeigen sich auch seine vier Sidemen als große Meister an ihren Instrumenten und gehen genauso spielfreudig zur Sache. Victor Cisternas (E-Bass), Rocco Zifarelli (E-Gitarre), Gary Husband (Keyboards) und Bjorn Arko (Tenor-Saxophon, elektronisches Aerophon) verstehen sich kongenial mit dem Bandleader. Nicht nur Cobham setzt große Akzente, sondern auch seine Kollegen sind glänzende Impulsgeber, die außerdem mit brillanten solistischen Einlagen faszinieren. Als wäre die Zeit stehen geblieben, bietet das Quintett exakt die Kombination aus Fusion und Jazzrock plus einer Portion Funk, wie sie in den 1970er und -80er Jahren ganz hoch im Kurs stand. Ungemein druckvoll wird aufgespielt. Selbst bei langsameren Nummern gönnt man sich keine Atempause, kommen doch auch sie spannungsgeladen daher.
Das Publikum im ausverkauften Haus ist restlos begeistert, jubelt und applaudiert, was das Zeug hält. Erst als Musik aus dem Off durch die Lautsprecher geschickt wird, als Zeichen für den endgültigen Schluss, ebben die Ovationen ab.
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