„Jetzt würde ich gerne ultrabrutalen Pogo sehen – aber mit Augenmaß!“, ruft Tobias Scheiße mit erhobenem Zeigefinger durch den Blauen Saal. Selbst die Börse Wuppertal war überrascht darüber, wer dieses Konzert aus der Reihe zu ihrem 50-jährigen Jubiläum eröffnen sollte. Ausgerechnet die Dark Jazz-Band Bohren & der Club of Gore hat sich die Hardcore-Punker von Hammerhead als Vorband ausgesucht. Deren neues Album „Nachdenken über Deutschland“ klingt alles andere als nachdenklich – sondern eher wie der perfekte Soundtrack für eine Kneipenschlägerei. Bassist Ranen und die Gitarristen David Schumann und Danilatore Minuti schrammeln in einem kopflosen Tempo, während Schlagzeuger Osche Engelhardt auf das Drumset einkloppt, als wolle er es zerstören. Derweil watschelt Sänger Scheiße wie ein aufgescheuchter Pinguin am Bühnenrand entlang und schreit, was das Zeug hält. Das schlaucht auf Dauer: Gegen Ende scheint Engelhardt dem Kollaps bedrohlich nahe. Die Pause kommt also zur rechten Zeit.
Was anschließend im mittlerweile bestuhlten Saal folgt, ist nach musikalischen Gewaltexzessen dieser Art nur konsequent: die Gruft. Während sich im schwach beleuchteten Raum Nebel ausbreitet, erzeugen Bohren & der Club of Gore eine düstere bis friedvolle Ruhe, in der jede Regung zum Ereignis wird. Robin Rodenberg versetzt – teils zu sphärischen elektronischen Klängen –die Wände mit seinem verzerrten Kontrabass in sanfte Schwingung. Morten Gass bedient neben einem sehr reduzierten Schlagzeug mal ein Rhodes Piano, mal ein Mellotron. Christoph Clöser spielt dazu auf dem Saxophon wehklagende Melodien, die einem Film Noir entstammen könnten. Oder er greift zum Vibraphon: „Totsein ist kein Grund, sich zu ärgern“, würden die Klangplatten des Instruments vermutlich flüstern, wenn sie könnten.
Nach den ersten drei Stücken sagt Clöser mit gedämpfter Stimme: „Jetzt kommen wir aber zu unserer neuen Platte“ – und fügt nach einer schier endlosen Sprechpause hinzu: „Ist vier Jahre alt.“ Der Sound von Bohren hat sich mit „Patchouli Blue“ leicht, aber doch merklich verändert. Die Stücke wirken bei einem ähnlichen Tempo dynamischer als zuvor, kleine musikalische Einfälle bereichern zunehmend die konzentrierte Atmosphäre – und vereinzelt erklingen auch hoffnungsvolle Harmonien in der musikalischen Gruft. „Bleibt fröhlich“, empfiehlt Christoph Clöser. So seltsam das klingt: Bohren & der Club auf Gore sorgen genau dafür.
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