Manche Theaterstücke haben ein langes Leben. Meistens dann, wenn es um die Abgründe menschlicher Existenz geht, um Liebe, Hass oder Macht. Zeitgenössische Werke haben es da oft schwer, zu nah an der realen Gegenwart, zu platt, zu schlecht, die Halbwertzeit auf den Brettern ist kurz, das Stück schnell vergessen. Bei der Britin Sarah Kane ist das anders. Ihre Stücke halten sich trotz ihrer schnellen, stakkatohaften Sprache und der fast übermächtigen Gewalt in Dialog und Handlung seit fast auf den Tag genau zwei Jahrzehnte in den Theatern. Im Januar 1995 fand die Uraufführung des ersten Stückes „Blasted“(Zerbombt) am Londoner Royal Court Theatre statt, am Bochumer Schauspielhaus hatte „Zerbombt“ nach dem Premiere vor einem Jahr am Schauspiel Stuttgart gerade seine zweiten Start in der Inszenierung vonDavid Bösch in den Kammerspielen. Ein kluger Schachzug, viele Bochumer kamen auch wegen Maja Beckmann, die im Stück die holperige Cate spielt, die mit ihrer Naivität jeder Brutalität des Lebens trotzt.
Das noble Hotelzimmer in Leeds, eins von denen die so teuer sind, dass es an jedem Ort der Welt sein könnte (Regieanweisung und Verortung), ist in den Kammerspielen ziemlich groß, das Doppelbett verliert sich darin. Die junge Cate kommt allein, stellt die Sporttasche verlegen, aber sorgsam in den Raum, ist überwältigt und wie ein Kleinkind hüpft sie durch das Zimmer, testet die Matratze. „Das ist Maja Beckmann“ flüstert die ältere Dame vor mir, ja das ist Maja Beckmann als Cate, wie einst in Bochum als Shakespeares „Phoebe“ oder auch Falladas „Lämmchen“ (Regie auch David Bösch), Beckmann kann ihren Hang zur Komik nicht leugnen, die gespielte Ungelenkigkeit ist aber in „Zerbombt“ ein großartiger Kontrast zu ihrem Widerpart Ian, Widerling, Arschloch, Lokaljournalist mit Hang zum James-Bond-Gehabe, Trinker, Raucher, Sterbender und Ex-Freund der mehr als zwanzig Jahre jüngeren, aber leicht debilen Cate, die, wenn auch vegan, auch sprachlich dem wilden Expressionismus der Texte etwas entgegensetzen muss – und wenn es dämlich sein sollte.
Bösch hat die brutale Militanz in Sarah Kanes Stück entschärft, er konzentriert sich auf die Beziehungskisten in der Abnormalität der Kriegsgebiete, wo nicht nur jede Ordnung, sondern auch alle Wertesysteme das Wanken längst überwunden haben und nur noch als Trümmer die blutigen Böden bedecken. Ian (Robert Kuchenbuch), der seine Furcht vor dem da draußen nur durch permanente Geilheit überdecken kann, dem es egal ist ob Blow- oder Handjob, Hauptsache irgendwas, ist mit seiner Menschenverachtung permanent, wenn er nach der nächtlichen Vergewaltigung (die Bösch natürlich im Dunkeln stattfinden lässt) „Ich liebe dich doch“ murmelt, müsste ihn eigentlich der Zorn Gottes ereilen, doch auch der ist im Stück nicht vorhanden, eher Thors Hammer, der irgendwann die Hoteldecke zerbombt und das ungleicheTête-à-tête mit Getöse beendet. Jetzt ist der Krieg auch visuell da und ein Soldat (Manolo Bertling) steht statt Cate im verwüsteten Raum und damit eine neue brutale Beziehungskiste. Bösch reduziert die alten Regieanweisungen, konzentriert sich auf die Dialoge. Schnell merkt Ian, dass er nun das Opfer ist, dass nicht nur die Kalaschnikow im Arm des Soldaten, sondern dessen absoluter Nihilismus jede Argumentation unmöglich macht. Und noch schlimmer, sein Alptraum wird eigentlich mit einer Liebeserklärung beginnen, nachdem das unvorstellbare Grauen der kriegerischen Auseinandersetzung durch den noch rauchenden Raum wabert, und die dauernden Vergewaltigungen von Frauen, Männern und Kindern scheinen absurderweise dabei noch die kleinsten Übel. Hier kommt in Böschs Inszenierung die große Bühne zur Geltung, der Zuschauer kann den Blick auf die Personen kaum fokussieren, das Meer der Zerstörung saugt alles auf. Dann muss auch Ian die obszöne Penetration im Kammerspiel-Darkroom ertragen, der Macho will wohl doch lieber überleben und wie Cate kriecht er anschließend mit blutverschmierter Unterhose über die Bühne. Im gleißenden Gegenlicht saugt der Soldat als finale Brutalität noch seine Augen aus und schießt sich danach mit dem Revolver das Hirn weg; in Bochum schreibt Manolo Bertling das allerdings nur an die Bühnenrückwand. Das Finale mit Cate, einem Baby und einer entladenen Pistole sollten sie sich selber anschauen.
„Zerbombt“ | R: David Bösch | Sa 7.3. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Wütende Stimme der Vielen
Deutsche Erstaufführung der Kammeroper „Thumbprint“ im Opernhaus – Bühne 06/24
Freigeist ohne Ausweg
Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ im Opernhaus – Bühne 06/25
„Das passiert natürlich auch ganz nah“
Regisseurin Katharina Kastening über „Thumbprint“ am Opernhaus – Premiere 06/25
An jedem zweiten Tag was los
Der Bürgerbahnhof Vohwinkel – Porträt 05/25
Morgenröte hinter KI-Clouds
Das Impulse Festival 2025 in Mülheim, Köln und Düsseldorf – Prolog 05/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Bühne 05/25
„Abschnitte, die im Nichts versanden“
Regisseur Joachim Gottfried Goller über „Die kahle Sängerin“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 05/25
Charmant und nüchtern
Comedian Vladimir Andrienko im Solinger Waldmeister – Bühne 04/25
„Ein Autor der Krise“
Regisseur Stefan Maurer über „Fräulein Julie“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 04/25
Gewinnen um jeden Preis?
„Alle spielen“ im Studio des Dortmunder Theaters – Prolog 03/25
Gnadenloses Psychodrama
Charles Gounods Oper „Faust” im Opernhaus – Bühne 03/25
„In der Welt der Kunst geht es darum, gesehen zu werden“
Regisseur Nicolas Charaux über „Mephisto“ am Wuppertaler Opernhaus – Premiere 03/25
Aura der Unschuld
„Faust“ von Charles Gounod am Wuppertaler Opernhaus – Prolog 02/25
Zeitreise mit Muse
„Von Thalia geküsst“ im Opernhaus – Auftritt 02/25
„Stimmen malen die emotionale Landschaft“
Regisseur Matthew Ferraro über „Faust“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 02/25
„Das Gesetz hat nicht immer Recht“
Regisseurin Johanna Landsberg über „Prima Facie“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 01/25
„Wir haben uns künstlerische Freiheiten genommen“
Intendantin Rebekah Rota inszeniert „Von Thalia geküsst“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 12/24
„Es geht auch darum, wer der Stärkere ist“
Regisseur Peter Wallgram über „Monte Rosa“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 11/24
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24