Als echter Ohrenkitzel haben die sich in regelmäßigen Abständen stattfindenden Beiträge zur Reihe „Stummfilm & Livemusik“ etabliert. Hier gewann beispielsweise der Untote „Nosferatu“ durch die musikalische Untermalung eine neue Dimension, wurde Charlie Chaplins „The Kid“ noch tränentreibender und Douglas Fairbanks‘ Wirken als „Dieb von Bagdad“ noch mitreißender. Donnerstag, 3. Juli, wird „Das neue Babylon“ um musikalische Nuancen durch das Sinfonieorchester Wuppertal erweitert. Den etwa 1,5-stündigen Film drehten Grigori Kosintsev und Leonid Trauberg 1928/29 in der Sowjetunion. Erzählt wird das Drama um den Aufstand an der Pariser Kommune anno 1871 anhand zweier Protagonisten: Verkäuferin Louise und Infanterist Jean. Sie sind ineinander verliebt und plötzlich an gegnerischen Fronten. Denn Louises Arbeitsplatz im Kaufhaus „Das neue Babylon“ ist ein Synonym für die vom Konsum verwöhnte Welt der Pariser Oberschicht, Jean dagegen kämpft für die Solidarität. Die bemerkenswerte Musik mit fantasievoller Instrumentierung komponierte Dmitri Schostakowitsch, damals 22. In seiner ersten Filmmusik verarbeitete er bekannte Zitate wie Offenbachs Cancan, französische Volkslieder oder die „Marseillaise“ und kombinierte diese Notenfolgen mit eigener, moderner Melodik.
Bekannt für ihre eigene Rhythmik sind Jazzer. Seit einigen Jahren geben sich ausgewählte Vertreter dieser Art in Tony Craggs Skulpturenpark sprichwörtlich die Klinke in die Hand. „Klangart“ heißt die renommierte Reihe, die oft in eine neue Welt der Töne führt. Und immer mal wieder sind es Hochkaräter, die sich die Ehre geben, so etwa Dave Holland, einer der besten und durch seinen Stil prägensten Bassisten der vergangenen drei Jahrzehnte. Früher spielte er mit Miles Davis, Chick Corea, Herbie Hancock und Pat Metheny, nun hat er wieder ein eigenes Quartett, das sich Prism nennt. Erwartet werden von der Besetzung Dave Holland, Eric Harland, Kevin Eubanks zusammen mit Craig Taborn hinreißende Soli inasymmetrischen Rhythmen, mehrstimmige Themen und improvisierte Überraschungen. Bereits einen Tag später startet ein weiterer Superlativ namens Adam Baldych. Der wurde als der „zweifellos größte lebende Geigentechniker des Jazz“ gefeiert, von dem man „alles“ erwarten dürfe. Sonst dem Instrument zugeschriebene Klischees wie Schluchzen finden bei ihm nicht statt, anstelle dessen werden bravourös Tonfolgen entlockt, die dem gebürtigen Polen den Ritterschlag „evil“ eintrugen. „Meine technischen Inspirationen bezog ich allerdings eher von Gitarristen“, so Baldych in einem Interview. „Allan Holdsworth und Scott Henderson waren sehr wichtig. In New York fand ich dann den Weg zurück zum akustischen Jazz, denn bei den dortigen Sessions war einfach keine Zeit, lange mit Verstärkern rumzufummeln.“
Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus wird heute in den intellektuellen Kreisen, die ihn gerne als „Philosophen für Abiturienten" verspottet haben, wiederentdeckt. Das Ensemble Profan bringt das absurde Drama „Das Missverständnis“ auf die Bühne. Ein Heimkehrer mietet sich bei einer alleinstehenden Frau und deren Tochter ein. Die beiden harmlos wirkenden Erscheinungen beziehen hübsche Nebeneinkünfte durch das Ermorden ihrer Pensionsgäste und Verscherbeln deren Habseligkeiten. Weil die Mutter nicht so genau hinguckt, wem sie den Zimmerschlüssel reicht („Was man nicht kennt", erklärt sie, „kann man leichter töten.“), und der Heimkehrer sich nicht zu erkennen gibt, scheint das Ende absehbar. Wer übrigens mehr zu Camus erfahren möchte, dem sei Anne-Kathrin Reifs Blog www.365Tage-Camus.de empfohlen.
„Das neue Babylon“ | Do 3.7. 20 Uhr | Stadthalle | www.stadthalle.de
Klangart: Dave Holland Quartett: „Prism“ | Sa 19.7. 19 Uhr |
Klangart: Adam Baldych Quartett: „Imaginary“ | So 20.7. 18 Uhr | beide im Skulpturenpark Waldfrieden | skulpturenpark-waldfrieden.de
„Das Missverständnis“ | Fr 4.7. 19.30 Uhr | Theater und Konzerthaus Solingen | 0212 20 48 20
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