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Dr. Nico Anklam
Foto: James Larsen

„Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schaffen“

04. April 2022

Direktor Nico Anklam über Flo Kasearus Retrospektive in Recklinghausen – Sammlung 04/22

engels: Ich bin ehrlich: Flo Kasearu ist mir bisher ein wenig entgangen. Wie kam es dazu, eine Künstlerin auszuwählen, die vertrocknete Pflanzen ins Museum stellt?

Nico Anklam: Das ist eine gerechtfertigte Frage, die ich Ihnen aber auch wunderbar beantworten kann. Flo Kasearuist eine der erfolgreichsten Künstlerinnen im Baltikum, die auch schon an verschiedenen Orten ausgestellt hat, die aber vor allen Dingen eine ganz einzigartige künstlerische Praxis hat, bei der zugegeben auch Pflanzen auftauchen, die vertrocknet scheinen, die aber in ihrem Zusammenhang Wichtiges aussagen können. Gerade Flo Kasearu gilt als eine Künstlerin, die Themen angeht, die man ansonsten im Kunstsystem wenig sieht: Sie zeigt das, was hinter verschlossenen Türen in Familien stattfindet, was aber oft mit dem politischen Außen verbunden ist. In solchen Fällen kann ein vertrockneter Pflanzentopf etwas sehr Relevantes sein.

Sind das auch die Symbole patriarchalisch-hierarchischer Strukturen im Kunstbetrieb?

Mitunter, aber nicht nur. Die patriarchalen Strukturen im Kunstbetrieb sind allein schon dadurch sichtbar, wenn Sie sich ansehen, wie die Sammlungen von Museen aufgestellt sind. Wenn sie da nach Geschlechterkategorien schauen, wie viele Künstlerinnen und wie viele Künstler dort vertreten sind, dann, denke ich, gehen wir alle d’accord, dass es da eine große Fehlstellung gibt. Insofern ist Flo Kasearu eine Künstlerin, die auch ein Hausmuseum betreibt, was man ja normalerweise erst einrichtet, wenn die Künstlerinnen oder Künstler gestorben sind. Dass sie sich ein Hausmuseum einrichtet, hat damit zu tun, dass man bestimmte Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schafft, die sonst nicht gesehen werden.

Was wird denn noch zu sehen sein? Flo Kasearus Sitzgelegenheiten?

Unter anderem. Im Moment sind wir bei über 40 Arbeiten, die zu sehen sein werden. Das wird eine sehr umfängliche Schau – von Video über Objekt, bis zu Zeichnung und Malerei. Die drei Etagen in der Kunsthalle werden thematisch eingebettet. Die untere Etage öffnet sich in besonderer Weise zum Straßenraum hin, weil wir einen Oma-Shop, einen alten sowjetischen Laden, den ihre Oma noch hatte, zugänglich zur Straße hin re-inszenieren. Es wird aber auch die „Disorder Patrol“ zu sehen sein, ein wichtiges Werk, das seine Uraufführung in Deutschland hat und erst im letzten Jahr für den steirischen herbst in Graz entstanden ist. Das ist eine mit Gymnastikbändern ausgestattete Aufsichtskolonne, die in absurden Uniformen durch die Stadt zieht, und – das ist mir wichtig – zwischen Kunsthalle und Festspielhaus hin und herlaufen wird, sodass man sieht, dass unsere beiden Häuser für die Ruhrfestspiel-Ausstellung miteinander verbunden sind. In der mittleren Etage werden einige ihrer von Zuhause kommenden Couches zu sehen sein, die aber so vorbereitet sind, dass sie perfekt um die Säulen der ersten Etage passen.

Inwieweit beeinflusst denn Putins Angriffskrieg die Ausstellung aktuell in einem ehemaligen deutschen Bunker?

Das beeinflusst die Ausstellung sowohl essenziell als auch gar nicht. Dass einerseits Flo Kasearus Werke in dem Ausstellungskontext eines ehemaligen Zweiten Weltkriegsbunkers als baltische Künstlerin mit einer Arbeit, wo gefaltete Flieger aus Dachpappe im Stadtraum auftauchen und die unter anderem im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim entstanden ist, plötzlich in einem anderen, ganz konkreten Licht stehen, das dieser furchtbare Krieg schlägt. Auf der anderen Seite zeigt diese Ausstellung im Kontext dieser Aggressionen, dass die künstlerische Freiheit eines der höchsten Güter ist und auch immer verteidigt sein muss. Selbst wenn ich eine Künstlerin aus dem Baltikum einlade und die sich dafür entschieden hätte, eine Kunst zu machen, die gar nichts mit Krieg zu tun hat, dann wäre das genauso ok.

Was ist an der ersten Ausstellung in Deutschland bereits retrospektiv?

Das ist der wunderbare Witz von Flo Kasearu, dass sie für ihre erste Einzelausstellung in Deutschland bloß den Titel „Retrospektive“ wählt. Das ist die jüngste Ruhrfestspiel-Künstlerin, die es je gegeben hat und sie inszeniert gleich ihre eigene Retrospektive.

Flo Kasearu – Flo’s Retrospective | 1.5. bis 7.8. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35

Interview: Peter Ortmann

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