Friedrich Engels in Manchester: Eine ganz eigenartige Doppelrolle gibt den Stoff fürs Stück „Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts“. Der Repräsentant der Industrie im väterlichen Unternehmen war zugleich deren Analyst und Kritiker. Verblüffend rückt Autor und Regisseur Torsten Krug beides in den Blick: Gespielt wird Engels von Julia Wolff – Geschlecht ist also so relativ wie jene Rollen. Ein Denker als Zwitter.
In dem Ein-Personen-Abend in der börse tritt der Barmer aus dem Schatten Karl Marx', der berühmter ist einerseits, andererseits finanziell von ihm abhängig. Nein, zum Glück ist es keine Abrechnung, dafür die fällige One-(Wo)Man-Show für einen Mann, der den Sozialismus miterfand und getreulich das Werk des verstorbenen Freundes vollendete. Und fürs Publikum ist der Einstünder mit dem Untertitel „Eine Engelsmaschine“ eine vergnügliche und kluge Maskerade.
Zwischen 1850 und 1869 verbrachte Engels im britischen Manchester seine Zeit, und neben der Arbeit hieß das auch standesgemäße Verlustigung mit Fuchsjagd – und zwei Geliebten. „Des Nachts bin ich der Liebhaber zweier Proletarierinnen“, hört man ihn sagen, „und gehöre zu ihnen“. Schon der Zusatz mag den Macho-Klang etwas dämpfen, aber viel mehr gilt das natürlich aus dem Mund einer Frau. Noch mehr weil man sie sieht, und vor allem wie: Integraler Teil der Aufführung ist nämlich die Live-Kamera; über Laura-Alina Blümings ständige Begleitung stellt Engels sich nicht nur in den Fokus, sondern leinwandbreit ins Großformat. Unmittelbar gespielt wird bei aller Technik natürlich auch, und Manfred Marczewskis hübsches Bühnenbild bietet dafür Schminktisch, Couch und Fenster.
Arbeiterinnen im Akkord
Engels ging durch die Fabriken, beobachtete Arbeiter und gerade Arbeiterinnen im unwürdigen Akkord. Teil seiner klassenkämpferischen Gedanken wurde der Aspekt Geschlecht, der „Antagonismus von Mann und Weib“: „In der Ehe“, sagt nun Wolff, „ist die Frau das Proletariat, der Mann der Bourgeois.“ Und es macht großen Spaß, wie sie seine Worte durchgängig zum Spiel freigibt: Bart wie Zylinder verschwinden vorm Spiegel und werden später wieder aufgesetzt, sie charmiert mit der Kamera, groß und auch komisch spricht sie so den Zuschauer an. Und am Fenster mit Skyline darf es auch etwas jovial werden.
Natürlich kann man streiten, ob es noch zeitgemäß ist, „Frausein“ überhaupt mit angeblich Typischem aufzuladen. Diese Frau jedenfalls, Friedrichs Fleisch gewordene Weiblichkeit, identifiziert sich mit Wohlleben, Selbstdarstellung, ja einer guten Portion Eitelkeit. Und so verstärkt die Idee denn die Linie: „Friedrich“ will seinen Auftritt und bekommt ihn. „Die zweite Geige“ sei er neben Marx, sagt er, aber das sei ihm, „ich meine, ganz passabel gelungen.“ Derlei Koketterie gehört zur Show. Und besagte Doppelnatur führt Julia Wolff so sinnlich-sinnfällig vor Augen.
Apropos kokett: Ohne dass dies allzu forciert würde, mag heute eine Polit-Figur jüngeren Datums in den Sinn kommen: Gerhard Schröder – freilich nur in seinem Hang zur Selbstdarstellung. Dass nun auch Engels einmal auftrumpft, scheint da nur gerecht: Verglichen mit dem „Genossen der Bosse“ dürfte seine Bedeutung für linke Politik um einiges denkwürdiger sein.
Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts. Eine Engelsmaschine | R: Torsten Krug | 19., 20., 21., 23.3. je 19.30 Uhr (Livestream) | die börse
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