Befragt, an was sie sich aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ besonders gut erinnern, nennen die meisten Zuschauer die sogenannte Handwerkerszene. „Deshalb kommt die in meiner Inszenierung nicht vor“, erklärt Dominique Pitoiset. Ebenso wenig bedient er die Idee, elfenhafte Wesen hüpften federleicht und frohgemut durch moosige Wälder. Dieser romantische, gerne auch ins Kitschige abdriftende Hintergrund, der Shakespeares Werk auch dank der Schlegelschen Übersetzung anhaftet, findet bei dem Franzosen nicht statt. „Das Elisabethanische Theater kannte gar keine Romantik. Der Fokus liegt auf der Beziehung zwischen Frauen und Männern“, beschreibt der Regisseur den für ihn wesentlichen inhaltlichen Aspekt. Im Grunde genommen sei der „Sommernachtstraum“ wie ein „Handbuch über die Gefahren der Ehe zu lesen“, führt er aus. Und streng genommen müsste auf den Theatervorhang noch die aktuelle Notrufnummer für misshandelte Frauen geschrieben werden.
Künstliche Paradiese und Abgründe
Was sich nun alptraumartig anhört, ist die bewusste Abkehr der überbunten Zauberposse. Das bedeutet nun aber ebenso wenig die Verkehrung ins Gegenteil oder in Richtung Trash. Mit expressiven Bildern wird diese eine, ganz besondere Nacht der Sommersonnenwende dargestellt und Mythisches in ganz alltäglichen Gesten und Arrangements auf ein allzu menschliches Maß reduziert. Das Nebeneinander von Feenwelt und griechischem Alltag wird eins, auch wegen Pucks Wunderdroge werden andere Bewusstseinsebenen betreten. In Shakespeares erotischster Komödie wird in dieser Nacht alles möglich, wie Pitoiset skizziert, im Dickicht der Gefühle kämpfen Triebhaftigkeit und Vernunft gegeneinander. Die bei Tageslicht so geordnete Welt löst sich im Chaos auf, was sonst bürgerlich-korrekt sein muss, weicht Obsessionen.
Unberechenbare und unbeherrschbare Gefühle
Auf der Literaturebene betrachtet geht es inhaltlich um einen Zank zwischen dem Elfenkönigspaar Titania und Oberon, parallel verlieben sich vier junge Menschen aneinander vorbei. Dann verwechselt Oberons Kobold ein Zielobjekt, weshalb weiterer Wirrwarr gestiftet wird, und zum guten Schluss gibt es ein Happy End. Jenseits dieser Erzählebene, übrigens in den sehr jetztigen Worten der Frank Günther-Übersetzung, geht es um Manipulation und Missbrauch in der von Männern geführten Gesellschaft. Beispielhaft dafür sind Elfen-Chef Oberon und Theseus, laut Regisseur eher gewalttätige Alkoholiker oder manisch-depressive Typen als Vorzeigehelden. Dieser Trip durch zuweilen obszöne Welten ist mit viel Humor gewürzt und wird gesanglich von vier Sängern begleitet. Für Bühne und Kostüm zeichnet Kattrin Michel verantwortlich. „Wir sind ein eingespieltes Team“, beurteilt der Regisseur die Zusammenarbeit. Wie genau die Details ausschauen, soll bis zur Premiere am 15. Juni im Opernhaus nicht verraten werden. Einen grüntönigen Wald wird es kaum geben, „die Figuren verlaufen sich eher in einem mentalen Labyrinth“, was ein verlassenes Gebiet am Rande der Stadt ist.
„Ein Sommernachtstraum“ I Premiere Sa 15.6. 19.30 Uhr/weitere Aufführungen18./21./23./29.6. I Opernhaus Wuppertal I 0202 563 76 66
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