Fünf irren über die Bühne. Ein Hund ist verschwunden. Wellington soll ermordet worden sein. Warum, weshalb und wer nennt schon seinen Hund nach der Hauptstadt Neuseelands? Der junge Christopher will der Sache nachgehen. Doch es gibt ein paar Unwägbarkeiten für den jungen Mann und seine Umgebung. Detektivspiel schön und gut, aber man sollte sicher sein, was alles dabei herauskommt. Im Wuppertaler Theater am Engelsgarten inszeniert Elias Perrig „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ von Mark Haddon.
Konstantin Shklyar ist dieser junge Mann, der in einer Welt lebt, die so weit weg ist von einem Theater. Strukturiert, nach klaren Abläufen gegliedert ist sein Tag, die Bühne, die eigentlich gar keine ist, ist lediglich ein einziger Raum mit Tür und Wand, der Boden ist vermessen, mit weißen Streifen geteilt. Anhaltspunkte, die dem Protagonisten helfen sollen, seine Position in der Welt zu finden. Klar, er ist ein Mathe-Genie, natürlich ein Gedächtnis-Phänomen, aber Normalität, die fehlt an jeder Ecke.
Doch auch seine Umgebung scheint skurril, die Personen hat der Regisseur heftig überzeichnet, sei es die Nachbarin Mrs. Alexander (Miko Greza, der auch Reverend, Schaffner und Polizist sein muss) oder die Rollen des Wuppertaler Urgesteins Thomas Braus. Alle benehmen sich ebenso merkwürdig wie Christopher, nur fehlt ihnen eben das zusätzliche Moment der Außergewöhnlichkeit. Leider ist diese Melange ab und an kontraproduktiv für die innere Stärke dieses Stücks über ein Krankheitsbild, das vielleicht gar keins ist. Wie einst Oliver Sacks „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, ist nicht nur der Roman von 2003 ein Hit geworden, die Bühnenfassung von Simon Stephens von 2012 ist inzwischen auch ein richtiger Dauerbrenner auf den Bühnen.
Nach und nach klären sich die Beziehungen hinter dem Rücken des jungen Detektivs. Seine Mutter Judy (Philippine Pachl) ist gar nicht im Krankenhaus am Herzinfarkt gestorben, wie sein Vater immer behauptet hat. Sie ist mit Roger (Thomas Braus), dem Mann der Nachbarin durchgebrannt, dessen Hund gemeuchelt wurde, die hatte danach ein Techtelmechtel mit seinem Vater Ed (Stefan Walz), wollte aber wohl nicht bei ihnen einziehen (wohl auch wegen Christopher), deshalb hat sein eigener Vater den Hund mit der Mistgabel erstochen. Seine Mutter lebt glücklich und zufrieden weit weg in London.
Das Leben von Christopher ist danach nicht mehr dasselbe. Viele Halteseile haben sich aufgelöst, dem Vater misstraut er nun, sein Buch über den Hunde-Kriminalfall hat ein unrühmliches Ende. Perrig inszeniert hier mächtig zielgerichtet auf die Dialoge, choreografisches findet kaum statt, Auf und Abgänge nur wo nötig, Bewegung hat die Handlung irgendwie nicht. Dennoch, das ausgezeichnete Spiel des Konstantin Shklyar hält die Geschichte am Leben, lässt die Flamme flackern. Einfach ist die Figur nicht.Supergut darf er sich nur fühlen, wenn die Parameter aus Form und Farbe stimmig sind, wie vier rote Autos hintereinander. Oder wenn die Farbe Gelb aus der Welt gebannt ist. Berührungen gehen gar nicht, die einzige richtige Bezugsfigur außerhalb ist Siebhan (Julia Reznik); die Klassenlehrerin ist auch eine ArtPsychiaterin und eine Welterklärerin, die kommuniziert, wie er sich in schwierigen Situationen verhalten sollte. Aber jetzt will Christopher nach London zur Mutter und in Zukunft bei ihr leben, doch der Weg dahin ist mit Barrieren gepflastert für jemanden, dem einfach ein mächtiges Stück Normalität fehlt. Mathematik kann vieles, aber eben keine Fahrkarte für die Bahn kaufen.
Irgendwie schafft er das. In Wuppertal wird daraus ein Reigen auf der Drehbühne, doch auch in London hören die Probleme nicht auf, denn seine Mutter ist eigentlich vor dem schwierigen Leben mit ihrem Sohn geflüchtet. Und der will ja auch noch die wichtige Mathematikprüfung in seiner Schule ablegen. Es wird ein ziemliches Hin und Her, mit Happy End. Vater Ed schafft einen neuen Hund herbei, die Prüfung wird ein voller Erfolg.„Kann ich jetzt alles?“, ruft Christopher final ins Publikum, im Hintergrund meuchelt Mrs. Shears den neuen Wellington.
„Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ | R:Elias Perrig | So 1.3. 18 Uhr, Do 9.4. 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Es geht nicht mehr um den romantischen Naturort“
Manuel Schmitt inszeniert „Erwartung / Der Wald“ an der Oper Wuppertal – Premiere 04/24
Von der Liebe enttäuscht
Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ in Wuppertal – Auftritt 04/24
„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24
„Wir hoffen, dass die Geschichte neu wahrgenommen wird“
Regisseurin Julia Burbach inszeniert „Alcina“ an der Oper Wuppertal – Premiere 02/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23
Knechtschaft und Ungerechtigkeit
„Cinderella“ im Opernhaus Wuppertal – Oper 12/23
„Giftmord als Kammerspiel ist immer willkommen“
Regisseur Roland Riebeling über „Arsen und Spitzenhäubchen“ am Schauspiel Wuppertal – Premiere 11/23
„Es gibt nicht die eine Arie, die jeder kennt“
Martin Andersson über seine „Tristan und Isolde“-Inszenierung an der Oper Wuppertal – Premiere 10/23
Gerupfte Hoffnungsträger
Musiktheater der Gegenwart: Du Yuns „Angel’s Bone“ – Oper 09/23
„Es geht darum, was es heißt, politisch aktiv zu werden“
Jenke Nordalm inszeniert Thomas Köcks „Klimatrilogie“ im Theater am Engelsgarten – Premiere 09/23
Den Nerv der Zeit erkannt
Screen Dance Academy #3 in Wuppertal – Festival 08/23
„Zu Theater gehört Wagnis und Experiment“
Intendant Thomas Braus über die neue Saison am Schauspiel Wuppertal – Premiere 08/23
„Beim Kindertheater geht es um Kinder und es ist für Kinder“
Martina Wagner vom Haus der Jugend über das Sommertheater 2023 – Premiere 07/23
„Es geht nicht darum, etwas zu verstehen“
Wuppertals Opernintendant Berthold Schneider zur dritten Inszenierung von „Three Tales“ – Premiere 06/23
„Wir wollen eine Art Geisterbahn bauen“
Anne Frick über „Dream on – Stadt der Träume“ in Wuppertal – Premiere 05/23
„Thomas Mann tut es gut gekürzt zu werden“
Henri Hüster spricht über seine Inszenierung des Zauberbergs – Premiere 04/23
„Jede starke Komödie ist tragisch“
Maja Delinić über „Der Revisor“ am Schauspiel Wuppertal – Premiere 03/23
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater – Bühne 02/23
Manchmal geht die Sonne wieder auf
Azeret Koua inszeniert „Das Spiel ist aus“ im Autoscooter – Auftritt 02/23
Sie haben ein knallgelbes Gummiboot
„Vogelfrei“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 01/23
Krakatuk erst spät geknackt, Pirlipat dennoch gerettet
„Der Nussknacker“ am Opernhaus – Auftritt 12/22
Das bleibt, wenn die Masken fallen
„Die Wahrheiten“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 11/22
Wilde Wasserspiele
Tanztheater Wuppertal mit Pina Bauschs „Vollmond“ – Prolog 11/22
Abwasch im Kopf des Tyrannen
„Macbeth“ an der Wuppertaler Oper – Auftritt 10/22