Es kommt der Tag, da wird die Drohne dröhnen. Und wenn man sie hört, ist es vielleicht schon zu spät. Möglicherweise schlendern Sie da gerade hinter einem Terroristen in der autofreien Einkaufsmeile her. Und bums, ehe sie sich versehen sind sie auch schon atomisiert, nix mehr mit Staub zu Staub. Wenn sie Glück haben, dürfen Sie möglicherweise wie der Protagonist Thomas in Christoph Nußbaumeders neuem Stück „Im Schatten kalter Sterne“ noch eine Zeit lang durch eine nebulöse Twilightzone geistern, um sich zu beschweren. Nur bei wem? Das werden Sie auch als Geist nicht erfahren. Das Kriegstreiber-Drama um Dr. Wolfgang Anders, einen Softwareentwickler für künstliche Intelligenz (KI), hatte im Herbst seine Uraufführung am Theater Heidelberg. Im Wuppertaler Opernhaus war also schon der zweite Streich zu sehen – ein Umstand, den Intendant Thomas Braus nach der Premiere ausdrücklich betonte, stand doch Autor Nußbaumeder beim Applaus mit auf der Bühne.
Nun haben zeitgenössische Stücke, die glauben, etwas zur aktuellen Meinungsbildung der jeweiligen Theatergänger beitragen zu können, meist nur eine sehr geringe Halbwertzeit. Viele der „wirtschaftstheoretischen Pseudo-Dialoge“ im Schatten der kalten Sterne sind aber durchaus universell anwendbar, zumindest wenn es um einen Shareholder-Value oder den salonfähig gewordenen „winzigen Beschiss“ der Öffentlichkeit geht – Hauptsache die mediale Außenwirkung stimmt. Das hat das mächtige Bühnenbild von Marlene Lockemann für die Inszenierung von Esther Hattenbach in Wuppertal aufgegriffen: Die Dialoge um Gewissen und Macht, ja, und um jede Menge Euros, spielen sich vor einer enormen Optik ab. Klar, dass sich da Konzernzentrale und Privatvilla von Dr. Wolfgang Anders so ähnlich sehen. Die Bühnenrückwand schmückt ein riesiger Videoscreen, der begleitet, spiegelt und assoziiert, was wir alles bald an Schönheit der Welt (Landschaft, Tiere, Menschen und die Schwebebahn) in die Tonne hauen werden. Unausweichlich.
Das lukrative KI-Startup-Unternehmen von Anders wurde vom milliardenschweren Rüstungsunternehmen „Bimini“ (das Pazifik-Atoll haben die US-Amerikaner mit Kernwaffentests zerstört, also nix war mit Heines Paradiesinsel) aufgekauft, er wird Projektleiter für superkleine Mikrodrohnen, die – quasi chirurgisch – böse Menschen ins Jenseits befördern sollen. Seinem Freund Thomas hat es wohl bereits das Leben gekostet. Die Konflikte um Fortschritt, Ethik und natürlich Liebe nehmen im Laufe des Abends zu, bis zum letzten kleinen Quadrocopter, der brummend über der inzwischen leeren Bühne schwebt und es nun im letzten Satz echter Menschen bedarf, um den von Drohnen geschwärzten Himmel wieder hell zu machen.
Esther Hattenbach inszeniert das alles merklich reduziert. Die großen mächtigen Bilder im Hintergrund (Kathrin Dworatzek) beherrschen den Raum komplett, da hilft auch keine riesige farbwechselnde pseudomoderne Kunststoffarchitektur mit zwei Rein-und-Raus-Türen ganz ohne Requisiten. Aber die acht Schauspieler kommen dennoch recht gut dagegen an. Ihre Choreografie, oft mehr so in Zeitlupe, bleibt auf den Brettern dagegen recht statisch. Als Gesamtkunstwerk ist der Abend aber sehenswert, die Szenenfolge bleibt klar, die Inhalte transparent wie die smarten Räume, in denen sie verhandelt werden, und die Drohnen-Plage wird uns noch eine Weile ungeregelt heimsuchen. Denn die KI-Ingenieure lassen sich ja wohl lieber erst mal „krankschreiben“.
„Im Schatten kalter Sterne“ | R: Esther Hattenbach | 7.4. 16 Uhr, 28.4. 18 Uhr | Opernhaus Wuppertal | www.schauspiel-wuppertal.de
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